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Hier bin ich zu Hause
„Lafnitz – Autor Peter Wagner bereitet sich auf seine
Weise aufs kommende Burgenland-Jubiläum vor. Die News sprach
mit ihm.
Jazz Pub News: Was für ein Künstler bist Du eigentlich?
Peter Wagner: Ich bin ein Suchender, der in einer Welt der sich
verändernden ästhetischen Kriterien seiner ethischen Basis
treu bleiben will. Ich bin Schriftsteller, ich konzentriere mich
aufs Theater. Schreiben ist mein Beruf, Musik meine Leidenschaft.
Mein vitales Interesse an der Kunst ist auf die Musik zurückzuführen.
JPN: Deine Stücke „Lafnitz“ und „Grenzgänger“ berühren
auch die Flüchtlingsproblematik. Welche Rolle spielt die Aktualität
in Deinen Werken?
PW: Bis zu einem gewissen Alter habe ich mir eingebildet, dass der
Künstler in seiner inneren Vertiefung gestört wird, wenn
er sich mit aktuellen Dingen beschäftigt. Mittlerweile merke
ich aber, dass die Aktualität auch nur eine Zeichensprache des
immer Gültigen ist. Man denke nur an den Koalitionsstreit zwischen
Vranitzky und Riegler um die Postenbesetzungen. Die Beiden rufen
unweigerlich Shakespear’sche Figuren und Szenen in Erinnerung.
Die ganze Kulturgeschichte der Menschheit kann man von der Sprache
und Mimik moderner Persönlichkeiten ablesen. Aktualität
in der Kunst ist kein Wert an sich, sie ist nur eine Blüte eines
jahrtausendealten Baumstammes. Sie ist ein Aufguss. Die heutige Literatur
hat Berührungsängste mit der immer undurchschaubaren Wirklichkeit
und greift daher auch bei aktuellen Themen, bewusst oder unbewusst,
auf die Mythologie zurück, Bei Texten über Tschernobyl
kann man beispielweise die Urängste, die apokalyptischen Visionen
herausfiltern. Für mich sind die erreichten Publikumsresonanzen
am wichtigsten, eine Aktualität im journalistischen Sinne muss
nicht unbedingt dabei sein.
JPN: „Lafnitz“ wurde vor kurzem auch im Fernsehen aufgeführt.
Es war Dein drittes Stück, das auf den Bildschirm kam. Siehst
Du das als einen besonderen künstlerischen Erfolg an?
PW: Keineswegs. Fernsehaufzeichnungen sind kurzfristig sicher lukrativ,
aber ich will auch in der Zukunft deswegen keine TV-Drehbücher,
sondern weiterhin Theaterstücke schreiben. Hier die Darsteller,
dort das Publikum: eine dreidimensional-offene Konfrontation. Im
Fernsehen verschwindet diese direkt-gegenseitige Erlebniswelt, dieses
Spektrum. Zudem wird das Stück sendetechnisch verkürz und
damit in seiner Vollständigkeit beschnitten. Ich halte TV-Übertragungen
aus dem Theater für eine halbherzige ästhetische Angelegenheit.
Genauso kann ich auch kein Jazz-Konzert im Fernsehen anschauen. Es
ist kein Live-Feeling da, das Erlebnis wird auf die subjektiv gestalteten
Bildausschnitte von Kameramann und Regisseur beschränkt. Im
Prinzip handelt es sich dabei um eine kulturelle Bevormundung des
Zuschauers. Auch im Übrigen glaube ich, dass das immer oberflächlicher
werdende Fernsehen eine Verliererstraße entlang marschiert.
Beim Fernsehen muss man auf keine Konfrontationen eingehen, man kann
durch Um- oder Abschalten bequem entfliehen. Und die Programmpolitik
baut die letzten Steine der stellenweise noch vorhandenen Konfrontationsbereitschaft
der Zuschauer ab.
JPN: In diesem Jahr feiert das Burgenland seine 70-jährige
Zugehörigkeit zu Österreich. Du bereitest Dich auf Deine
Weise auf einen „Festakt“ vor…
PW: Dieses Jubiläum bleibt wohl niemandem erspart, es ist aber
eine andere Frage, wie man sich damit auseinandersetzt. Zur Zeit
arbeite ich, zusammen mit dem Offenen Haus Oberwart, dem ich eine
extreme Szenepotenz hier im Landessüden einräume, sowie
mit der kroatischen Gruppe „BRUJI“ am Theaterprojekt „Salah
o, Salah he“. Die Geschichte spielt im dunklen Mittelalter
auf Burg Forchtenstein. Es geht dabei um die Tyrannei, die, zwar
in subtileren Formen, auch in der heutigen Gesellschaft gegenwärtig
ist. Übrigens würde ich mich sehr gern persönlich
davon überzeugen, wie dunkel das Mittelalter tatsächlich
war. Nach Auschwitz und Hiroshima halte ich es nämlich für
unrichtig, die humanistischen Errungenschaften der Jetztzeit anderen
historischen Epochen überzuordnen. Zurück aber zu meinen
Plänen: Ich habe gerade ein neues Stück fertig geschrieben,
das entweder noch heuer oder 1992 auf die Bühne kommen soll.
Außerdem hat sich ein Wiener Theaterensemble bereiterklärt,
meine „Mühle“, uraufgeführt in Kiel, nun erstmals
auch hierzulande zu zeigen. Ich soll dabei Regie führen – eine
Aufgabe, die ich mit Freude annehme.
JPN: Viele Burgenländer wissen kaum mehr über die Geschichte
ihrer Heimat, als in den Schulbüchern steht. Hast Du Dich damit
ausführlich befasst?
PW: Die Geschichte des Burgenlandes ist noch nicht transparent.
Man gewinnt oft den falschen Eindruck, das Land hätte ewig zu Österreich
oder zumindest zum Dunstkreis der Habsburger gehört. Dabei war
es, nicht zuletzt wegen seiner Nationalitäten, ein heiß umkämpftes
Grenzland – und ich rede dabei nicht nur von 1921. Doch für
einen Staat wie Österreich, der selbst um seine eigene Identität
ringt, ist es offensichtlich peinlich, darüber klarer zu sprechen.
Man sollte mehr über unsere Herkunft wissen, um verstehen zu
können. Das auch verzweifelt nach einer eigenen Identität
suchende Burgenland war und ist von wenig repräsentierten sozialen
Schichten dominiert. Kein Wunder, dass die sich daraus ergebenden
Eigenschaften der Regierten: Untertänigkeit, Obrigkeitsfurcht,
Desinteresse und Resignation die feudalen Strukturen weiterleben
lassen. In diesen Strukturen fühlen sich die heutigen, so genannten
demokratischen Parteien und Institutionen sehr wohl, denn die Eigenheit
der burgenländischen Seele schließt einen ernsthaften
Widerstand von unten aus.
JPN: Kann das Burgenland ein idealer Lebensraum für einen alternativen
Künstler sein?
PW: Ich würde mich gar nicht als alternativ bezeichnen. Der
Künstler unterscheidet sich von der übrigen Gesellschaft
dadurch, dass er hysterischer auf das Reizklima seiner Umgebung reagiert
als andere. Das tue ich auch. Das Burgenland ist meine Heimat, hier
bin ich zu Hause und glücklich. Dies können immer weniger
Menschen der Welt von sich behaupten. Gleichzeitig bietet für
mich dieses Land einen vitalen Hintergrund mit sprachlich-kultureller
Vielfalt. Und mit der Ostöffnung, die wesentlich größere
Herausforderungen für den Künstler stellt, als man dies
in der ersten Euphorie eingeschätzt hatte.
JAZZ PUB NEWS, 1991
Artikel über Peter Wagner (Auswahl)
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