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Die Nachfolger der Alten
sind die besseren Alten
Der Autor und Schriftsteller Peter Wagner über das Burgenland,
alte und neue Nazis und das Verhältnis zur Kunst
Zusammen-Leben im Südburgenland
Das Südburgenland hat im laufe seiner Geschichte gelernt die
Sprachen und Volksgruppen miteinander zu vereinen. Ich leb’ sehr
gern dort, weil es ein Fundus an Sprache und Geschichte ist. Ich
hol’ mir auch das meiste Material für meine Stücke
von dort und nehm’ sie für einen Allgemeinzustand von
Welt. Ich selber bin mit zwei Sprachen aufgewachsen, Deutsch und
Ungarisch. Man hat sich über gewisse Restbestände von Vorurteilen
zu einem Leben miteinander entschlossen.
Ich glaube mit der Ostöffnung hat ein Schwenk eingesetzt. Die
Ungarn wurden noch ertragen, weil sie die Kassen füllten. Dann
kamen die Rumänen, es wurde das Bundesheer aufgestellt, das
noch immer steht. Im Zuge dieser Entwicklung, die in das Ausländervolksbegehren
mündete, sind zunehmend die Roma wieder als Feindbild entdeckt
worden. Es hat wiederum die Geschichte gegeben, dass Lokale und Discos
für Roma zugemacht haben, dass der Pfarrer für Sonderschüler
eigene Messen gelesen hat, weil die nicht mit normalen Schülern
zusammenkommen sollen. Die Sonderschule ist ein Depot für Zigeuner.
Das alles hat in den letzten fünf Jahren vehement angezogen,
abgesehen davon, dass es vorher nicht heil war.
Offene Bedrohungen gab es nicht. Man hat sich eher gegenseitig gemieden.
Es gab eine Art von trügerischer Harmonie. Der Bombenanschlag
deutet für mich auf überregional denkende Leute hin, die
im ethnischen multikulturellen Bereich eine Chance zur effektiven
Destabilisierung, zum Entwickeln neuen Hasses sehen.
In Oberschützen, wo das „Anschlussdenkmal“ steht,
wird ein geistiges Terrain im vorakademischen Bereich, die ansässigen
Schulen, gezüchtet, das die Elite des Südburgenlandes erfasst.
Zu tätlichen Auseinandersetzungen ist es nicht gekommen, außer
als Vorgeplänkel in den letzten fünf Jahren.
Die Nazi-Szene
Es gibt drei zentrale Nester des Neo-Nazitums und das sind zugleich
die Nester des Alt-Nazitums-Oberschützen, Rechnitz, Stegersbach.
Es hat sich aus der sehr starken Alt-Nazi-Gilde eine Jung-Nazi-Bewegung
gebildet, wobei Oberschützen mit dem Anschlussdenkmal einen
symbolischen Charakter hat. Dort vereinen sie sich immer wieder.
Dann Rechnitz mit Portschy (dem ehemaligen Gauleiter des Burgenlandes,
Anm. Tb), der dort noch immer lebt und Verbindungen nach Obeschützen
hat. Dort findet man schon ein sehr starkes Alt-Nazitum vor, das
sich kaum mehr verhüllt. Die Nachfolger der „Alten“ sind
die besseren Alten.
Rechnitz
24. März 1945
Wenige Wochen vor Kriegsende wurden in Rechnitz, am so genannten
Ostwall, etwa 180 jüdische Zwangsarbeiter erschossen. Die örtliche
Partei- und sonstige Prominenz war an diesem Abend zu einem Fest
bei der Gräfin Batthyany Thyssen geladen. Gegen 23 Uhr verteilte
man die Gewehre, fuhr zum Kreuzstadel, ließ die Juden sich
nackt ausziehen, erschoss sie, kehrte zurück auf Fest und tanzte
bis in die Morgenstunden weiter.
Der Kulturkampf der FPÖ
Der Sohn des ehemaligen Kreisleiters von Oberwart, Nicka, der am
Ende die Organisierung des Ostwalls über gehabt hat und auch
den Einsatz der jüdischen und ukrainischen Zwangsarbeiter, der
Sohn ist der berüchtigte Nicka, der schon vor Jahren von der „Rassenvermischung“ gesprochen
hat und jetzt im Burgenland (als Landtagsabgeordneter der FPÖ,
Anm.) das Geschäft des Kulturkampfes übernommen hat. Es
ist unübersehbar, dass sich die FPÖ auf die Kulturschiene
einschießt, weil dort der Neidkomplex am plastischsten zu schüren
ist. Wenn ein Theater oder Künstler 100.000 Schilling bekommt
und der so genannte „einfach Mann“, von dem Jörg
Haider immer spricht, das nicht einsieht, weil er in kein Theater
geht und daher den Wert einer künstlerischen Veranstaltung nicht
abschätzen kann, dann kann man dort punkten. Das haben sie jetzt
im Burgenland begonnen und die beliebtesten Feindbilder sind ein
gewisser Minister Scholten, der das unterstützt, und ein gewisser
Peter Wagner, der die FPÖ mit seinen Stücken und Aktionen
ins Visier nimmt.
Es gab ein Stück, „Todestag“, in dem zwei Brüder
ein Verhältnis zur letzten Kuh im Stall haben und die haben
ein Kind mit der Kuh, ein Zwitter aus Mensch und Kalb. Für mich
war das eine Parabel auf den sterbenden Bauernstand, grad in EU-Zeiten.
Die Burgenländer haben sehr sehr allergisch darauf reagiert, „Sodomie“ und
weiß’ der Teufel was, was es absolut nicht war. Nach
dem Motto „Perversion auf der Bühne“ und „sowas
wird subventioniert“. Die FPÖ sagt auch ganz offen, was
sie wollen, mehr Brauchtumspflege.
Im Jahr 1989 haben wir eine Ausstellung gemacht „Naziherrschaft
und was ist geblieben“, und da haben wir Leute benannt, die
dabei warn. Wie die Ausstellung bereits abgebaut wurde, kommt der
Rauter (FP-Chef, Anm.) mit dem besagten Nicka daher wie ein Kommandounternehmen
und sagen „Wir drah’n euch ab, her mit den Tafeln. Mit
Hilfe der ÖVP drah’n wir euch im Landtag ab“. Sie
haben uns bis jetzt nicht abdrehn können.
Bis vor eineinhalb Jahren hatten wir auch bei der SPÖ persona
non grata, aber mittlerweile haben sie (SP und ÖVP, Anm.) gemerkt,
dass ihnen die Felle davonschwimmen, in der ÖVP stärker
als in der SPÖ, und dass irgendwas gemacht gehört, aber
Ratlosigkeit ist überall.
„Die Nackten“ und „März der 24.“
Makaber ist, dass meine Themen plötzlich so nahe der Realität
liegen. Es geht in „Die Nackten“ um einen toten Zigeuner,
der in Birkenau umgekommen ist, der im Zuge einer gesellschaftlichen
Entwicklung wo sich alles auflöst, wiedererscheint als Toter
und die Frage nach der Schuld unter den Menschen aufwirft. Etwas
womit wir ja nie gelernt haben umzugehen, weil es nie thematisiert
wurde, gerade in Österreich – ein katastrophales gesellschaftspolitisches
Dilemma, das wir seit 50 Jahren heranzüchten.
Bei mir sind schon 1981 zwei Neonazis eingedrungen und haben Kanonenschläge
(Knallkörper mit Lunte, Anm.) geworfen im Haus und um in Haar
wär’ uns die Bude überm Kopf abgebrannt. Es kam zu
einer Anzeige, die Täter wurden ermittelt, es kam zu keinem
Prozess, weil der Innenminister (Blecha, Anm.) das abgewürgt
hat mit dem Argument, ein Neonazi-Prozess ist nicht opportun, wir
haben kein Neonazi-Problem. Damals hat meine Mutter gesagt „Sie
(die Nazis, Anm.) waren immer so!“, jetzt erzählt sie „Gleich
nach dem Anschluss sind die Zigeuner marschiert, es hat einen Judenzug
gegeben, da haben sie gesehen wie die beinander sind“. Das
ist diese kleinbürgerliche Mentalität, solange es sie nicht
selber betrifft, werden sie nicht wach. In dem Augenblick, wo meine
Mutter gemerkt hat, jetzt könnte es gegen meinen Sohn gehen,
hat sie sich erinnert.
Die zweite Geschichte, die zusätzliche Brisanz gewonnen hat,
ist „März der 24.“. Das zu schreiben hab’ ich
mich knapp nach den letzten Wahlen doch noch entschlossen. Ich habe
versucht eine Situation der Endzeitstimmung zu rekonstruieren. Die
Nazis haben gewusst, dass es vorbei ist, die Russen sind bereits
am Plattensee. Auschwitz war bereits zwei Monate befreit. Da haben
sie sich noch einmal ihr ganz privates Auschwitz gegeben als Schlusspunkt
einer Orgie von einigen Jahren, einer Wahnorgie von Überheblichkeit, Übermenschentum.
Die Leute (Täter, Anm.) leben zum Teil heute noch. Ich habe
mich dem Thema sehr schwer nähern können, weil mir die
Dimension des Massenmordes fehlt, ich hab’ sie nicht eruieren
können in mir. Es ist dann aber etwas entstanden über einen
sexuellen Zugang. Im Grunde ist das für sie ein erotisch-orgiastisches
Erlebnis im Sinne von de Sade, Pasolini. Dieser Zugang wird für
viele nicht verdaulich sein.
Wir haben zwei Volkssturm-Leute eingeführt, einen alten und
einen 14-jährigen. Der 14-jährige ist für mich die
Hauptfigur, weil der frisst am Anfang Erde, die ihm der Gestapo-Chef
hinhält. Er frisst sie und sagt: „Jetzt werd’ ich
auch ein harter werden“. Der erschießt dann tatsächlich
einen Juden, der nieder bricht vor ihm und beginnt dann das Kommando
in Hand zu nehmen. Der Krieg wird aufhören, aber seine Geschichte
hört nicht auf, der wird weitergehen und er wird irgendwann
einmal wieder dastehen und wieder töten – vorbehaltslos.
Ein Teil des Publikums wird in einer Art Grube, das heißt
im Grab, drinnen sein – agieren: stumm, regungslos – und
ein zweiter Teil sitzt auf einer Tribüne und schaut einer doppelten
Bühne zu. Einmal dem Kreis von agierenden Schauspielern, zum
zweiten denen, die dann Opfer werden – den Zuschauern.
Ich will nicht auf Betroffenheit spekulieren, Mitleid erzeugen,
um das geht’s mir überhaupt nicht. Eher darum, Wut zu
erzeugen, weil ich Wut für eine Kraft halte, während Mitleid
etwas kraftloses ist. Insofern glaub’ ich nicht, dass es dort
triefen wird vor Mitleidstränen, sondern wenn Tränen kommen,
müssen die auch einen gewissen aggressiven Impetus haben gegen
Dinge, die sich nicht mehr so ereignen dürfen, wie sie sich
ereignet haben. Ich glaube auch, dass wir nicht die Leute erreichen,
die im Halbschatten von latent faschistoiden Gefühlen oder Gedanken
leben. Mit dieser Tatsache haben wir zu leben. Wir können aber
unsere Sicht so differenzieren, dass unser Widerstand auf profunden
Beinen steht.
Zusammenfassung eines locker geführten Gesprächs, TATBLATT,
1995
Artikel über Peter Wagner (Auswahl)
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