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Interview zu "Der Fluss" und "Kreuzigungen. Ein Triptychon - Roman in drei Richtungen"
Wie kam's zu dem "Fluss"-Projekt?
Ich wurde vor gut einem Jahr von der Kuratorin des heurigen kulturellen
Jahresschwerpunktes "Burgenland singt" angesprochen: Man
wollte eine "Oper", konnte mir aber nicht erklären,
was man darunter zu verstehen habe. Da ich ja bei der Recherche
zu meiner Romansatire "Die Burgenbürger" immer wieder
auf bemerkenswerte Aspekte der burgenländischen Volksgruppen
bzw. der Mehrheitsbevölkerung gestoßen bin, war es für
mich naheliegend, mir nun auch die Lieder der Sprachgemeinschaften
etwas genauer anzusehen. Da waren dann doch so viele spannende,
ja dramatische Entdeckungen gerade bei jenen Liedern, die mehr oder
weniger dem Vergessen anheimgefallen sind, dabei, dass ich mich
entschloss, diese mit eigenen und Texten anderer Autoren zu einem
Theater-Essay zu verweben.
Wichtig war mir, den gängigen Klischees, die die Volksgruppen
immer wieder auch von sich selbst entwerfen, entgegenzuarbeiten
und eben nicht eine Art gesungenen Heimatabend entstehen zu lassen.
Allerdings wollte ich für die Inszenierung sehr wohl, dass
die InterpretInnen einen direkten Bezug zu diesem Land, das ich
weniger als klassisches Grenz- denn als Schwellenland bezeichne,
haben. Nun war das bei der jüdischen Volksgruppe nicht möglich,
weil es im Burgenland seit 1938 keine Juden mehr gibt. Deren Lieder
hat dann, in einer Art kollektiver Verbeugung, das Gesamtensemble
übernommen. Auch im Falle der Roma taten wir uns schwer, weil
ja diese Volksgruppe wirklich sehr klein (obwohl extrem rührig)
ist und ich hier niemanden finden konnte, der meinen Ansprüchen
stimmlich und schauspielerisch gewachsen gewesen wäre. Hier
haben wir mit Sandra Selimovic eine wiener Romni mit serbischen
Wurzeln gefunden (die im übrigen vor kurzem einen Integrations-Preis
in Wien erhalten hat). Die anderen Volksgruppen sind aber mit Barabara
Horvath (ungarisch), Marco Blascetta (kroatisch), Eveline Rabold
und Philipp Eisenmann (deutsch und deutsch-mundart) sozusagen original
besetzt, was denn auch zu einer tatsächlichen Authentizität
der Liedinterpretation auf der Bühne geführt hat.
Für das Arrangement hatte ich von Anfang an den in Neusiedl
am See lebenden Komponisten Ferry Janoska im Visier. Er ist als
slowakischer Rom mit ungarischer Muttersprache, der nach abenteuerlicher
Flucht als 12jähriger in Österreich am Konservatorium
studiert hat und seitdem für die Wiener Philharmoniker genauso
arbeitet wie für die Sängerknaben und Rainhard Fendrich,
ein echter Kosmopolit der Musik. Ich war dann doch erstaunt, dass
er sich für die live gespielte Musik eines Streicherquintetts
bedient. Was er allerdings in Verbindung mit Keyboard und Samples
daraus macht, ist ein eigener musikalischer Kosmos, der dem Publikum
nach aller bisherigen Erfahrung ziemlich nahe geht.
Wie ists in Oberwart angekommen?
Womit ich nicht gerechnet hatte, weil es mir in mehr als zwanzig
Jahren eines reinen Uraufführungstheaters im Offenen Haus Oberwart
auch noch nie passiert ist: Es gab am Ende stehende Ovationen, und
das hat sich bei den bisherigen Gastspielen bei den Kroaten in Großwarasdorf
und im Kulturzentrum Eisenstadt wiederholt! Überhaupt beobachte
ich ein Phänomen, mit dem ich bei allen bisherigen Theaterarbeiten
auch noch nicht konfrontiert war: Dieser Abend erzeugt sowohl bei
den sog. einfacheren wie auch bei den sog. intellektuelleren Naturen
ein und dieselben emotionalen Reaktionen: Man kann sich den Liedern
und ihren unverhohlen direkten Poesie, die in all ihrer sprachlichen
und thematischen Vielfalt im Grunde auf ganz wenige essentielle
Botschaften reduziert ist - die dann aber wirklich essentiell sind
-, nicht entziehen. Entscheidend dafür ist auch die durchgängige
Übertitelung, d.h. das Publikum ist bei allen Liedern auch
in den Texten drinnen, es hört also nicht nur Melodien in Ungarisch,
Kroatisch, Roman, Jüdisch und Hebräisch, die es sprachlich
aber nicht versteht, sondern taucht direkt in den sprachlichen Konnex
ein. Hierbei habe ich Wert darauf gelegt, dass die Übertitel
sich nicht nur als nebenbei einherlaufende Informationsquelle darstellen,
sondern als künstlerischer Bestandteil des Bühnenbildes.
Wie ist das Zusammenleben der Sprach- und Volksgruppen im Burgenland
etwa im Verhältnis zu Kärnten/Slowenen. Und wie entwickelt
sich das?
Es kann freilich keine Rede davon sein, dass das Zusammenleben der
Volksgruppen im Burgenland immer konflikt- oder friktionsfrei gewesen
wäre. Der jüngste Darsteller meines Ensembles, der 24-jährige
Marco Blascetta (sein Vater entstammt im übrigen einer kroatischen
Minderheit aus Apulien und hat ins burgenländische Kleinwarasdorf
/ Mali Boristof geheiratet), hat erzählt, dass man noch vor
einigen Jahren Konflikte mit den deutschsprachigen Deutschkreutzern
im Diskobus mit dem Absingen kroatischer Volkslieder beantwortet
habe. Dennoch muss festgehalten werden, dass das Anbringen mehrsprachiger
Ortstafeln für die Burgenländer nie ein Problem war. Und
auch heute noch kann man auf dem Oberwarter Markt neben Deutsch
Ungarisch, Kroatisch und - wenn man Glück hat - auch Romanes
vernehmen. Die gegenseitige Wertschätzung ist vorhanden, und
das hat sich auch im Falle der Roma wirklich gebessert. Auch die
Existenz eines zweisprachigen Gymnasiums in Oberwart, in dem Kinder
in ihren autochtonen Muttersprachen unterrichtet werden, mag als
Beweis dafür gelten.
Als ich vor etwa zwei Jahren in Klagenfurt aus den "Burgenbürgern"
las und meine Frau, Eveline Rabold, mit ihrem "Trio Burgenbürgerland"
in fünf Sprachen Lieder aus dem Burgenland vortrug, hat uns
das Publikum nachher mit Fragen nur so gelöchert. Man konnte
einfach nicht glauben, dass die Volksgruppen im Burgenland tatsächlich
weitgehend harmonisch wenn schon nicht miteinander, so doch nebeneinander
Leben.
Und wenn ich die Frage nach der weiteren Entwicklung auch noch beantworten
soll: Hier habe ich insofern ein paar Bedenken, als sich die Kulturpolitik
im Burgenland immer mehr dem Tourismusgedanken zuwendet. Und das
bleibt auch an den Volksgruppen irgendwie hängen. Für
meinen Geschmack hegen und pflegen die Volksgruppen selbst viel
zu sehr das Folklore-Klischee, hinter dem alles andere irgendwie
versteckt wird und verschwindet. Aber auch das habe ich in "Der
Fluss" thematisiert.
Hat Deine langjährige kulturelle und damit auch politische
Arbeit im Burgenland Deiner Meinung nach Früchte getragen,
oder ist es ein Anrennen gegen Windmühlen, das man halt unermüdlich
weiter tun muss?
Schwer zu beantworten. Als ich 2007 den höchsten Kulturpreis
des Landes erhielt - fast klingt das nach dem Eingeständnis
eines Schuldgefühls seitens der Kulturpolitik des Landes -
stand da in der Festschrift geschrieben: "Da war dann plötzlich
das OHO, die anarchische Spielwiese, da und mit ihm der erste sich
selbst gebärende Theaterraum für zeitgenössisches
Burgenlandtheater, also damals hauptsächlich und fast ausschließlich
Peter Wagner. Er meinte, in der damaligen Euphorie des Aufbruchs
... könne es jetzt dauerhaft etwas werden mit dem ganz eigenen,
eigenen ausgeformten, eigen entwickelten und gedachten Grenzlandtheater,
dem fälligen emanzipierten Theater einer fälligerweise
emanzipierten Provinz. Darin, sagt er heute, habe er sich geirrt.
Die Provinz habe sich emanzipiert, aber in einen reaktionären
Theaterfestspielpomp und eine kulturtouristische Einbahnstraße,
in eine so biedere wie penetrant risikolose Ästhetik und Gedanklichkeit
hinein. Nicht der Irrtum sei sein Scheitern, sagt er, sondern die
Unfähigkeit, den Kampf gegen die Vereinnahmung der Kunst durch
die Eventhaie mit wirksamen Mitteln führen zu können.
Im Grunde, sagt er, sei alle Energie, die in das andere Ende des
Stranges investiert wurde, wirkungslos geblieben."
Dem stimme ich auch heute noch zu. Ich bin mir aber nicht sicher,
ob ich es heute in der gleichen apodiktischen Weise formulieren
würde ...
Wie kam es zu der Wahl der drei Protagonisten Deines Romans
- sind es Archetypen, oder gehen sie auf konkrete Vorbilder zurück?
Wieviel Autobiografisches steckt drinnen?
Die Protagonisten in "Kreuzigungen. Ein Triptychon" gehen
sehr wohl auf konkrete Vorbilder zurück, werden aber im literarischen
Schreibprozess so oder so zu Archetypen. Das passiert auch mit dem
sog. Autobiografischen: Die Schilderung des eigenen Schicksals wäre
mir in diesem Prozess zu wenig bzw. zu wenig weitläufig, ist
es doch gerade im bewussten Verweben mit anderen Schicksalen höchst
interessant, das Eigene neu und auch teilweise völlig anders
zu erfahren. Im ersten Teil des Triptychons war das der Fall. Bei
den beiden anderen Teilen nahm sich das schon wesentlich schwieriger
und problematischer aus: Was hat ein abgehalfteter Kardinal, der
sich plötzlich mit dem Vorwurf des Missbrauchs an seinen Zöglingen
konfrontiert sieht, oder ein junger Rechtspopulist, der mit Hilfe
seines Mentors eine steile Karriere macht, obwohl er noch immer
sein Kinderzimmer bewohnt, mit mir, dem Autor Peter Wagner, zu tun?
Und doch waren auch diese beiden Erzählungen eine Entdeckungsreise
durch das eigene Ich, in dem man unerwartet Seiten von sich aufstöbert,
die alles andere als bequem und von einem moralisch einwandfreien
Standpunkt her zu betrachten sind. Da ja alle drei Protagonisten
aus der Ich-Perspektive erzählen, haben sich diese Reisen in
teilweise ziemlich abenteuerliche und abgründige Grenzgänge
meiner Psyche verwandelt.
Und: Hat das Religiöse für Dich in Deinem Leben mehr
oder weniger Bedeutung erhalten?
Das weiß ich nicht. Ich weiß einerseits heute nicht
mehr genau, was ich bis hierher immer genau zu wissen glaubte, dass
ich nämlich im Alter von etwa 16 Jahren meinen katholischen
Glauben verloren hätte. Eine gewisse Prägung bleibt einem
ja dennoch erhalten, selbst wenn man sich selbst als Atheisten sieht,
später vielleicht als Agnostiker. Die Begegnung mit dem Katholizismus
lateinamerikanischer, speziell mexikanischer Prägung vor über
zwanzig Jahren hat mich allerdings ziemlich umgeworfen, und ich
beschreibe das ja auch im Triptychon. Ob ich dadurch religiöser
geworden bin, weiß ich nicht, sicher aber hat das Religiöse
als Menschenheitsphänomen dadurch eine Aufwertung in meinem
Leben erfahren. Ich bin nach wie vor Mitglied der katholischen Kirche,
an deren Zertrümmerung ich lange Zeit irgendwie mitzuarbeiten
versucht habe. Heute sehe ich allerdings eine höchst interessante
und spannende Entwicklung, die einerseits etwas mit Franziskus zu
tun hat, mehr aber noch mit den vielen Menschen, die diesen reformunwilligen
Kirchenkomplex mit Beharrlichkeit und Verstand, und ja: auch mit
religiöser Hingabe zu biegen versuchen - und u.U. näher
dran sind, es zu schaffen, als man befürchten möchte.
Interview per Mail-Verkehr. Fragen: Wolfgang Huber-Lang / apa
Artikel über Peter Wagner (Auswahl)
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