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Gott sieht alles
Auch wenn er im Burgenland einen „diesseitigen“ Theaterbesuch
macht!
Drei Theaterproduktionen „Made im Burgenland“ gehören
der Vergangenheit an – und es war die erwartete schwere Geburt. „Lust
auf Theater“, Zitate aus der Theatergeschichte von Conny Hannes
Meyer, „Die amerikanische Witwe“ von Heinz Vegh und „Todestag“ von
Peter Wagner sind gelaufen. Die vierte Produktion steht auf den Schienen
und ist bereit abzufahren. „Wundertheater Welt – Ist
der Mensch ein wunderliches Geschöpf?“ von Hans Rochelt
wird am 5. November 1993 im Kulturzentrum Mattersburg uraufgeführt
(im Rahmen des Theaterabos der Kulturzentren, Regie C. H. Meyer,
Bühnenbild Andreas Roseneder, die übrige Besetzung ist
noch nicht endgültig fixiert). Auch wenn z.B. Heinz Vegh behauptete,
3000 Zuseher hätten seine „Witwe“ gesehen (in Wahrheit
waren es 2000 incl. Schulen) fand der erste Versuch, Theater im Burgenland
wieder heimisch zu machen, praktisch unter Ausschluß der Öffentlichkeit
statt. „Lust auf Theater“ und „Todestag“ waren
noch schlechter besucht. Der „Todestag“ sogar trotz guter Öffentlichkeitsarbeit.
Nun gibt es dafür zumindest einen eindeutigen Grund, einen allgemeingültigen,
ein Axiom sozusagen: Im Burgenland gibt es keinen Theatermarkt.
Das Faszinierende am modernen Theater, die körperliche, seelische
und geistige Nähe des Zusehers mit Stück, Inhalt und Form,
die Bereitschaft der persönlichen Berührung, die Möglichkeit,
Selbsterfahrung via Theater zu machen, ist als „burgenländisches
Schicksal“ längst versiegt, oder ist vielleicht noch nie
hochgekommen. Das ist vermutlich wie die Frage: Was war vorher, die
Henne oder das Ei. Viel wichtiger sind Fernsehen, Buschenschank und
Fußball.
Dazu kommt die beinahe in Fußballdimensionen ausgetragene
Begegnung Wien contra Burgenland. Wie man aus gewöhnlich gut
informierten Kreisen hören konnte, war die Finanzierung des
Experiments „Theater-Eigenproduktion im Burgenland“ an
den Namen Conny Hannes Meyer gebunden. Anruf im Bundesministerium
für Unterricht und Kunst in Wien, Dr. Koll, zuständig für
die Bearbeitung der Subvention für die burgenländischen
Eigenproduktionen. Frage: „Diese Frage hat mir Dr. Wiedenhofer
auch schon gestellt.“ Na bitte! Wie das zustande gekommen ist
war für den Geschriebenstein nicht nachvollziehbar.
Gerüchte besagten, dass Meyer mit seiner Tätigkeit bei
den „Komödianten“ in Wien besondere Verdienste erworben
hat, dann allerdings auf Grund verschiedener Unregelmäßigkeiten
das Terrain räumen musste. Daraus sollen sich Verknüpfungen
ergeben haben, die im Burgenland üblicherweise „Versorgungsposten“ genannt
werden. (Noch einmal der Hinweis, dass dies Behauptung keine Behauptungen
sind, sondern Gerüchte, aber interessante). Wie dem auch sein
mag, wir haben damit die Kurve Richtung „Todestag“ gekratzt.
Ein Stück. Ich war dabei, als am 4. April 1993 um 11 Uhr die
Abschlussmatinee im Kulturzentrum Mattersburg über die Bühne
ging. Ich konnte eindeutige Gruppierungen beobachten und ich verhehle
vorweg nicht, auf welcher Seite meine Sympathien lagen und liegen.
Un medias res.
„Todestag“ von Peter Wagner. Immer wenn ein Autor ein
Stück zur Produktion freigibt, beginnt ein Diskussionsprozess,
der mit nichts zu vergleichen ist, sowohl was die Härte der
Auseinandersetzung als auch die Auswirkung der Diskussion angeht.
Peter Wagner: „Ich weiß, dass dieses Aus-der-Hand-geben
meines Textes für mich ein Problem ist. Insofern, weil die Inszenierung
ein wesentlicher und wichtiger Teil der gesamten Arbeit ist uns sein
muss.“ Und nach der Premiere im Eisenstädter Kulturzentrum,
als Wagner in die Kamera von Studio Burgenland hineinsagt, für
ihn ist Theater die Möglichkeit, Intimitäten, persönliche
und als Tabu auch gesellschaftliche, zu transportieren, war klar,
dass hier mit „Todestag“ nicht alles so gelaufen ist,
wie es hätte sein sollen oder hätte sein müssen und
vor allem, wie es hätte sein können. Denn soviel steht
fest und das drückt sich in den Statements aus, die ich nach
der letzten Aufführung im KUZ-Mattersburg gehört habe,
wo selbst die hauseigene Kantine nur eine knappe Viertelstunde geöffnet
war. Grund: Chronischer Besuchermangel. Froh zu sein bedarf es wenig,
aber die Erleichterung über das Ende der Aufführungsreihe
war nicht zu übersehen, sowohl bei der einen Partie (Leitfiguren:
Ottwald John & C. H. Meyer, der allerdings beim Finale nicht
anwesend war, warum auch?) als auch bei der anderen (Leitfigur Peter
Wagner und der doppelte Horvath, Horst und Wolfgang). Froh war man,
dass alles vorüber gegangen war, ohne ernsthaftere Auswirkungen.
Unversöhnlich war man sich gegenübergestanden. Textänderungen
ohne das Wissen des Autors. Kurzzeitig gab es Überlegungen von
Autor und seinem Verlag (Thomas Sessler, Wien) das Stück zu
sperren, und das zu einer Zeit, als die Ausfallshaftungen erst vertretbare
Höhen erreicht hatten. Es kam, was kommen musste – und
jeder der Peter Wagner kennt sollte akzeptieren, dass er sich, zähneknirschend
zwar, aber mit all seiner Möglichkeit zur Kooperation aufwendend,
dem „zarten Pflänzlein“ Theater im Burgenland unterordnete.
Nach der Premiere in Eisenstadt: Ein Versuch von mir, mit dem Regisseur
Meyer zu reden, … Plötzlich eine Stimme aus dem Hintergrund,
von jemandem, den ich vorher nicht gekannt hatte – es war Alfred
Masal, der „Lichtmensch des Todestages“. Wütend – keine
Regieanweisung: „Warum lügen Sie denn andauernd, ich möchte
einmal, nur einmal, erleben, dass Sie sagen, was wirklich war.“ (Masal: „Ein
Bühnenmikrofon ist sehr verhängnisvoll. Schon am Anfang
der Produktion machte ich das Angebot, dass sich der Regisseur jemanden
anderen für das Licht suchen solle, er hat abgelehnt. Beim Finale
der Vorbereitung zum Stück sagte er nur, dass ihm ein Licht
genüge. Also da frage ich mich, warum denn Konzepte für
Licht erstellen.“)
Ich will jetzt nicht unbedingt in den Chorgesang der medialen Berichterstattung
im Nachhinein einsteigen (womit ich es schon vielleicht getan habe),
die, ebenso wie die Berichte im Vorfeld, sich nie die „Mühe
gemacht haben, nachzufragen, die haben einfach die Aussendungen abgeschrieben“ (Dr.
Josef Wiedenhofer, Geschäftsführer der Kulturzentren Burgenland).
Dort hieß es allgemein, „das Stück sei ausbaufähig,
aber die Inszenierung…“ (Standard). „Das Stück
war gut, aber die Regie, … und die Schauspieler, ich weiß nicht, …“ (eine
ORF-Burgenland-Mitarbeiterin). Wieder andere, nicht so öffentliche
Stellen, sprachen von der „Liebe zum Stück auf den zweiten
Blick“ (eine Ärztin), ander von „wie kann man so’was
aufführen“ (ein Bildhauer), andere bekamen einen Kicheranfall
beim Namen der Kuh – „Elsbeth“ (ein Grafiker – der
noch arbeitet, während andere in Tirol urlauben), „das
Stück ist gut“ (ein Journalist), „anders könnte
man das Theater gar nicht ’rüberbringen“ (ein Literat), „no
vako ca?“ (ein Kroate, oder?) … „es gibt bei jeder
Theaterproduktion den Streit über diese und jenes, aber mit
mehr Motivation“ (eine Maskenbildnerin), einer der wenige,
die gar nichts sagten, wirklich gar nichts (ein Arbeitsloser), viele
gingen gar nicht erst hin (Politiker aller Coleurs) und einer gab
seine persönliche Ahnungslosigkeit (er hat das Stück doch
nicht gesehen?) via „Kurier“ kund und ließ sich
mit Begriffen wie „Perversion“ und „während
des Unterrichtes“ aus.
Genug der mehr oder weniger kompetenten Kritiker-Sager. Es folgt
sicher auch keine konkrete Kritik meinerseits. Mit Peter Wagner (nach
dem Ende der Abschlussmatinee in Mattersburg): „Normalerweise
gibt es ein Fest nach einer solchen Leistung“, unabhängig
vom Erfolg oder der Intensität der Diskussion. Gesagt in der
kahlen (an Motiven, Stimmungen jeder Art und vor allem an Menschen)
Aula des Kulturzentrums.
Man ging mit jener Unvereinbarkeit auseinander, die man schon lange
vorher zementiert hatte. Der unversöhnliche Konflikt zwischen
Autor und Regie kulminierte in ein dunkles, stummes Loch. Ich weiß nicht,
so wird das Rochelt-Stück vom „Wundertheater Welt“ den
burgenländischen Durchbruch im vierten Anlauf versuchen müssen.
Niemand hatte sich die Aussichten auf den durchschlagenden Erfolg
erhofft. Man ist doch Realist genug!
Aber besonders ein Umstand ließ mich als Beobachter der Abfolgen
aufhorchen: „Man besucht es zwar nur mäßig, das
Stück, aber überall wo ich hinkomme wird darüber gesprochen,
eigenartig ist das schon!“ (Frau Gold, Kulturzentrum Mattersburg)
Was bleibt?
Eine Mischung aus Kain und Abel in der Franz- und Karl-Räuberrolle?
Ein Matriarchat – dass jeder – man(n) auch endlich zur
Kenntnis nimmt, eine Mutter zu haben? Die Klärung des Begriffes „Der
Klare“? Theater ist ein Minderheitenprogramm? Warum macht man
das überhaupt?
Oder kann man sich doch die Frage stellen, ob Gott wirklich alles
sieht? Und für meine Begriffe ist hier, an diesem Punkt, ein
echter Ansatz ermöglich worden, über Gott nachzudenken,
in dem man beginnt sich selbst in Frage zu stellen. Ohne den erhobenen
Zeigefinger, den uns Evangelien ohne Zahl, biblische, konsumnahe
oder -ferne, ideologische oder ehemäßige… immer
ganz deutlich zeigen.
Thomas Vlassits, GESCHRIEBENSTEIN, 1993
Artikel über Peter Wagner (Auswahl)
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