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Von den Anfängen
des Schreibens
Text für Dieter Scherr bzw. eine Burgenländische Literaturgeschichte,
Mai 2005
Rund um 1968 kehrte mit dem Sender Ö3 tatsächlich soetwas
wie ein neuer Geist in die Wohnzimmer meines Oberwart ein. Man hörte
schon vor dem Aufbruch in das (vorwiegend von Altnazis dominierte)
Gymnasium nicht nur Beatles, man hörte auch Doors, Stones,
Hendrix, Joplin, Cream. Ich war damals 12 Jahre alt und schrieb
meine erste und einzige “Jazz-Messe”, irgendwo schon
dran an einem neuen polyglotten Lebensgefühl, andererseits
doch auch festgeklemmt in der ewigen Umklammerung der Provinz, die
zunehmend zu reiben begann - bei mir äußerte sich diese
Reibung als Bedürfnis zu schreiben oder auf der Gitarre zu
klimpern. Da war jene unwahrscheinliche Erscheinung, ein fast immer
betrunkener Zigeuner, den sie Purdi Pista nannten. Er zeigte mir
die Brandmarkung von Auschwitz auf seinem Unterarm und eröffnete
mir den Blick auf die Welt. Mit seinen biblischen Rauschflüchen
wollte er nicht wirklich in das Oberwart der braven Bürger
passen. In mir war indes eine Gier nach dieser seiner “Welt”
entstanden: meine ersten Sommerreisen, die ich mit 16 und 17 unternahm
und bis zum letzten Tag der Ferien ausschöpfte, führten
mich per Autostopp und Interrail durch ganz Europa, u.a. in Francos
Spanien (an jeder Straßenecke eine Gestalt in schwarzer Uniform
und an jeder zweiten ein Schwuler, der den blondgelockten Jüngling
bis in die U-Bahn verfolgte) und in ein Griechenland der Militärdiktatur.
In Thessaloniki geriet ich in meine erste Demonstration, da hielten
Soldaten Gewehre mit scharfer Munition auf demonstrierende Bürger
an. Natürlich fanden gerade diese Erfahrungen als erste Einlass
in die geheim gehaltenen Erzählungen des Pubertierenden. Sie
sind freilich längst entsorgt. Aber sie standen immerhin am
Anfang jener Sucht, die bis zum heutigen Tag auf mich nieder hämmert.
Und doch war auch mein verschlafenes Oberwart nicht uninteressant:
von meinem Fenster im ersten Stock aus konnte ich mitverfolgen,
wie die Häuser der Roma in etwa anderthalb Kilometer Entfernung
abgerissen wurden und an ihrer statt eine neue Sieldung bestehend
aus hässlichen kleinen Betonplattenhäusern noch weiter
entfernt vom Ortskern und gleich neben der stinkenden und rauchenden
Mülldeponie errichtet wurde. Jahrzehnte später sollte
ich erfahren, dass die alten Besitzer der Häuser, alles KZ-Überlebende
(von ursprünglich 360 waren 19 zurückgekehrt), die ihnen
von der Stadtgemeinde vorgelegten Verträge zu vermeintlichen
Verbesserung ihrer Lebensqualität (eine Schimäre!) mit
drei Kreuzen unterzeichnet hatten. Ich jedenfalls hatte meinen ewig
besoffenen Purdi Pista, der als einziger Zigeuner in der Stadt selbst
lebte und sowohl die Schmähung der Roma als auch der Mehrheitsbevölkerung
genoss. Er behauptete beharrlich, dass Auschwitz die Hauptstadt
der Welt und außerdem überall sei, also auch in Oberwart.
So kam die Welt also doch immer noch nach Oberwart zurück!
Aber sie war auch im Hause des Schriftstellers Jan Rys im idyllischen
mittelburgenländischen Kaff Unterrabnitz zugegen. Er nahm mich
unter seine literarischen Fittiche, ein Purdi Pista der anderen
Art, obwohl genauso biblisch und versoffen. Bei ihm traf sich jährlich
das “Internationale Hörspielzentrum”, furchteinflößende
Zeitgenossen aus halb Europa, die sich eine Woche lang im Krieg
an einer mir bis dahin unbekannten Sache wie “Hörspiel”
als elitäre literarische Meute stilisierten. Dort durfte ich
denn auch im zarten Alter von neunzehn mein erstes langes Hörspiel
(ein kürzeres hatte ich ein Jahr davor schon erfolgreich vertrieben)
“Purdi Pista sagt, die Cymbal ist tot” vortragen, was
sofort Abnehmer bei ARD, ORF und dem Slowenischen Rundfunk fand
und mir den Ruf eines Wunderkindes einbrachte. Ein Versprechen,
dass ich freilich in keinster Weise einhalten konnte und mir bald
schon die ersten tiefen Krisen bescheren sollte. Aber auch das war
Bestandteil jener “Welt”, die mich so weit von mir und
meinem Land entfernte, dass ich gar nicht anders konnte, als weiter
beidem verhaftet zu bleiben: mir und meinem Land. Eine unendliche
Reibung in unendlichen Fortsetzungen. Als mich beim Militärdienst,
den ich gleich nach dem Verfassen des Purdi-Pista-Hörspiels
absolvierte, der Spieß einen “Heimatdichter” nannte,
wusste ich, dass er recht hatte.
Und jetzt mag ich nicht mehr weiter schreiben, weil ich spüre,
wie unaufgearbeitet das alles letztlich ist. Ich glaube, in “Aktion
am Drulitschweg”, einer Erzählung aus dem Jahr 1978,
die 1981 im gleichnamigen Erzählband erschienen ist, habe ich
eine Art Abrechnung mit meiner Provinz versucht, trotzdem ist meine
literarische “Jugend” eine Geschichte, die mir körperlich
Bauchweh verursacht. Das was Sie, lieber Herr Scherr, als die “neue
Generation von Schreibenden” bezeichnen, war mir sowas von
wurscht, “Aufbruch”, “Neuerung”, “Quantensprünge”,
“Ära Sinowatz etc.” detto. Das Bewusstsein darauf,
mit dem dann das alles relevant werden konnte, passierte bei mir
erst mit Beginn der Achtziger, als mir Schreiben alleine nicht mehr
genügte bzw. sich als politisch-aktionistische Metamorphose
zu gerieren begann.
Artikel über Peter Wagner (Auswahl)
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