Die Weiße
Frau
Fast ein Musical
Stück: Peter Wagner
Musik: Arthur Fandl
In den Hauptrollen: Weiße Frau: Eveline Rabold; Boris: Jan
Sokol; Graf Stefan: Klaus Stöger; Die vier Zofen: Gabi Leonhard,
Eva Stimpfl; Susanne Ernst, Nicole Mühl; Närrin: Michaela
Ifkovics; Wacholder: Florian Resetarits; sowie rund 40 weitere Mitwirkende
aus dem Raum Güssing;
Bühne: Günter Temmel; Licht: Alfred Masal; Kostüme:
Henryk Rys Mossler; Ton: Gerhard Junker; Regieassistenz: Ines Lackner;
Musikeinstudierung: Arthur Fandl
Regie: Peter Wagner
CD „Die Weiße Frau – Das
Musical“
Musiker: Arthur Fandl – E-Piano, Posaune; Herbert Kopitar – Keyboard;
Thomas Stimpfl – Gitarren und Bass; René Heindl – Schlagzeug;
Barbara Keglovits – Sax; Elisabeth Keglovits – Trompete,
Flügelhorn; Querflöte: Jan Sokol; E-Gitarre – Dian
Marcelja
Stimmen: Mitwirkende der Origianl-Bühnenproduktion (siehe
oben)
Aufgenommen im Weinbergstudio Otmar Weber, 1998; Tontechnik: Herbert
Pratter
Produktion: Arthur Fandl, Peter Wagner

Zunächst eine Sage: Die weiße Frau
von Bernstein
Um 1700 hauste auf Schloss Bernstein der finstere und herzlose Graf
Stefan Batthyány, der weit und breit gefürchtet war.
Er gebot über das Land ringsum und plagte seine Untertanen in
der grausamsten Weise. Bis in die späte Nacht hinein ließ er
sie schwer arbeiten und trieb sie beim Morgengrauen wieder hinaus
aufs Feld.
Eines Tages begab er sich auf einen Kriegszug gegen die Türken
ins ferne Banater-Land. Da atmeten seine Untertanen auf und wünschten
im Stillen, dass er niemals wiederkehren möge.
Als drei Jahre verflossen waren, ohne dass von ihm ein Lebenszeichen
eintraf, hielten ihn alle für tot.
Seine Gemahlin, die schöne Marika, musste die ganze Zeit hindurch
allein in der großen Burg wohnen. Einmal besuchte sie ein junger
Ritter aus Pitten, der sich Hals über Kopf in sie verliebte.
Es gelang ihm, das Herz der schönen Frau zu betören und
ihre Zuneigung zu gewinnen.
Das traute Verhältnis fand jedoch ein jähes Ende, als
der Burgherr eines Tages durch Boten seine Rückkehr ankündigte.
Da wurde Frau Marika von Verzweiflung gepackt. In Trauerkleidern
warf sie sich ihrem heimkehrenden Gatten zu Füßen, gestand
ihre Schuld und bat demütig um Verzeihung.
Doch Stefan Batthyány stieß sie von sich.
Er ließ sie von seinen Knechten fesseln und im Schwarzen Turm
einmauern. Den Ritter, der es gewagt hatte, sich seiner Gemahlin
zu nähern, tötete er mit eigener Hand.
In dumpfem Groll verbrachte er fortan seine Zeit. Kein helles Lachen
ertönte mehr in den weiten Hallen der Burg. Knechte und Mägde
schlichen bedrückt umher. Der Graf trug stets eine finstere
Miene zur Schau, wenn er sich blicken ließ. Zumeist saß er
im obersten Burggemach und blickte hinaus in das Land, als suchte
er das verlorene Glück.
Anfangs war der Zorn mächtig in ihm, aber mit der Zeit gab
es auch Stunden, wo er sich selbst anklagte, dass er zu hart gegen
seine Frau gewesen sei. Er hätte sie nicht so lange allein lassen
dürfen!
Solche Überlegungen machten ihn zornig und unbeherrscht, und
alle mieden dann seine Nähe.
Am ersten Jahrestag nach dem schrecklichen Ende seiner Gemahlin
ging Graf Stefan in seinem Gemach ruhelos auf und ab. Der qualvolle
Tod seiner Frau, ihr flehender Blick, ihre Tränen, ihr Schluchzen
- all das war es, was seine Gedanken - wie so oft in letzter Zeit
- bewegte.
Da er keinen Schlaf finden konnte, setzte er sich in seinen Armstuhl,
der neben dem Fenster stand, und sah in die dunkle Nacht hinaus.
Da tat sich plötzlich die Tür auf und herein trat - ganz
in Weiß gekleidet - seine tote Frau. Sie blieb nach drei Schritten
stehen, blickte ihn flehend an und winkte ihm, ihr zu folgen.
„Marika!“ rief Graf Stefan erbleichend. Er wollte sich
erheben, aber er zitterte so stark, dass es ihm unmöglich war,
sich zu bewegen.
„Marika!“ wiederholte er mit tonloser Stimme.
Regungslos verharrte die Frau an der Tür, den kopf ein wenig
nach links geneigt, die gefalteten Hände an die linke Wange
geschmiegt - so wie sie es immer getan hatte, wenn sie nachdenklich
war. Ihre dunklen Augen blickten seltsam starr ins Leere.
Plötzlich bewegten sich ihre Lippen. Ein kläglicher Laut
- mehr wie ein Wimmern - wurde hörbar, dann zerfloss die Erscheinung
in einem wallenden Nebelschleier.
Als sich Graf Stefan von seinem Schreck erholt hatte, stürzte
er zur Tür hinaus und schrie wie wahnsinnig um Hilfe.
Sein Leibwächter eilte als erster herbei. Ihm erzählte
der Graf mit stockender Stimme das schaurige Erlebnis. Dann tat er
noch einen schweren Seufzer und fiel, vom Schlage getroffen, tot
zu Boden.
Quelle: Friedrich Schattauer: Burgenland - Sagen und Legenden, KFM-Verlag
Waidhofen/Thaya, 1980

Sodann „Fast ein Musical“, ausgeborgt von der Sage:
Die Weiße Frau
Der Inhalt:
Schräge Vögel gesellen sich zum Lied des Blinden Sehers.
Es sind Götter, die sich in Krähen verwandelt haben und
offensichtlich etwas vorhaben.
Gräfin Katharina und ihre Zofen suchen beim Blinden Seher Rat.
Katharina empfindet angesichts der Tatsache, dass ihr Mann, Graf
Stefan, in den Krieg ziehen will, Unsicherheit um ihr eigenes Schicksal.
Den Rat des Sehers, sich ins Leben zu stürzen, quittiert sie
beinahe erbost. Den Zofen allerdings gefällt die Aussicht, dass
Graf Stefan nun für einige Zeit abwesend sein würde. Sie
spekulieren schon die längste Zeit damit, Katharina in ein amouröses
Abenteuer außerhalb ihrer unglücklichen Ehe zu treiben.
Der Närrin behagt der bevorstehende Kriegszug überhaupt
nicht. Sie ist ihrerseits verliebt in Katharina und würde lieber
bei ihr bleiben, als mit Graf Stefan, dessen Maitresse sie ist, in
den Krieg zu ziehen.
Stefan treibt die Aussicht auf das baldige Gemetzel in kriegslüsterne
Rage. Während er vor der Frage seiner Frau, wie es um ihrer
beider Liebe zueinander bestellt sei, davonläuft, lässt
er Katharina auf seinem zynisch inszenierten Abschiedsfest mit nackten
Füßen über die Klingen von vier Säbeln tanzen.
Auf diesem Fest bietet sich der eben erst am Hof eingetroffene Boris
dem Graf als Begleiter in den Feldzug an. Boris hat sich zuvor schon
als unbezwingbares Kind der Götter vorgestellt, dem von seinen
Ziehvätern, den Zwergen, ein magischer silberner Stab geschenkt
worden war. Mit diesem ist er in der Lage, die Welt zu verzaubern.
Allerdings ist dieses göttliche Geschenk mit der Auflage verbunden,
dass er es niemals aus der Hand geben darf.
Boris´ kleiner Bruder, der spastisch behinderte Wacholder,
hat bereits einen vergeblichen Versuch unternommen, Boris von seinem
Plan abzuhalten, an der Seite Stefans in den Krieg zu gehen. Doch
Stefan nimmt das Angebot Boris´ ohnehin nicht an. Er macht
diesen für die Dauer seiner Abwesenheit zu seinem Stellvertreter
am Hof und erteilt ihm den Auftrag, seine Frau Katharina einmal täglich über
die Klingen der Säbel tanzen zu lassen.
Katharinas Zofen entwickeln einen Plan, wie ihre Herrin mit Boris,
der mittlerweile die ganze Stadt verzaubert hat, zusammenzubringen
wäre. Es gelingt ihnen mit vier Spiegeln, Boris in sich selbst
verliebt zu machen und ab nun nur noch nach der höchsten Frau
am Hof zu verlangen.
Katharina jedoch bleibt, obwohl auch sie in Boris verliebt ist,
diesem gegenüber reserviert. Da sie Boris´ göttliche
Selbstverliebtheit erkennt, lehnt sie sein immer heftiger werdendes
Drängen ab.
Das lässt die Zofen ihren nächsten Plan entwerfen. Sie
verführen Boris, seinen magischen silbernen Stab aus der Hand
zu geben. Während sie auf diesem spielen, wird Boris nun seinerseits
das Opfer der Magie dieses Stabes: er verliebt sich in die vier Zofen.
Ab sofort hat er kein Auge mehr für Katharina. Diese jedoch
gibt zu erkennen, dass die Zofen und sie in Wahrheit ein und dieselbe
Person seien, und dass auch sie, Katharina, das Liebesspiel der kommenden
Nacht über die potenzierte sinnliche Seite ihrer selbst, die
vier Zofen, mitvollziehen würde.
Mit großer Häme kommentieren die als Krähen verkleideten
Götter die Tatsache, dass Boris durch den Verrat an seinem Auftrag,
den magischen silbernen Stab niemals aus der Hand zu geben, seine
Göttlichkeit verloren hat und zum Menschen mit all seinen Schwächen
geworden ist.
Auch die Kiebitze der Stadt registrieren in voyeuristischer Eifersucht
das neuerdings rege Sexualleben in der höchsten Etage des Hofes.
Während Boris und Katharina einen Blick in die Karten der Schwarzen
Frau tun - diese ist ebenfalls ein mythischer Teil Katharinas -,
statten die Zwerge Boris einen Besuch ab. Boris muss zugeben, dass
er seinen magischen silbernen Stab verloren hat. Daraufhin wird er
von den Zwergen mit einem schweren Fluch belegt, der ihn in Scham-
und Nacktheitsgefühle treibt.
Katharina jedoch bedeutet ihm, dass ihre Hingabe und ihre Liebe
zu ihm nur durch seine Menschwerdung möglich geworden seien.
Der aus dem Krieg zurückkehrende Graf Stefan wird am Tor der
Stadt von einer Abordnung der „Moralischen Bürgerwehr“ empfangen
und über die angeblich unsittlichen Verhältnisse an seinem
eigenen Hof unterrichtet. Man appelliert an ihn als Hüter der
Ordnung, reinen Tisch mit den neuerdings praktizierten Frivolitäten
zu machen.
Seine Rache fällt denn auch äußerst brutal aus.
Er exekutiert seinen Nebenbuhler Boris, lässt den sinnlichen
Aspekt Katharinas in der Gestalt der vier Zofen köpfen und Katharina
selbst bei lebendem Körper einmauern. Danach jedoch wird er
selbst Opfer seines grausamen Tuns: Sowohl die Erscheinung von weißen
Gestalten als auch die Anwesenheit der Schwarzen Frau, jener unausrottbaren
Kraft weiblicher Weisheit, treiben ihn selbst in Wahnsinn und Tod.

Stücke Peter Wagner
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