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Textauszug
„Todestag - Ein bäuerliches
Schicksalsdrama“
von Peter Wagner
(Karl hebt mit einer letzten Kraftanstrengung die Pistole und
feuert einen Schuss ab. Franz ist in das Geschlechtsteil getroffen
und geht ebenfalls in die Knie, die Augen quellen aus seinem Gesicht.)
FRANZ: Hier, hier an dieser Stelle ... wirft einen Blick auf sein
zerfetztes Geschlecht ... o Himmel, hier war ich dir überlegen,
auch wenn das alles jetzt hin ist! Jahrelang habe ich zugesehen,
wie deine Frau mehr und mehr in sich verfiel, als Folgeprodukt meiner
schändlichen Tat. Und jahrelang habe ich geduldig auf den Augenblick
gewartet. Vor ein paar Wochen hatte ich sie endlich so weit. Ihr
Widerstand ist zusammengekracht wie eine Kathedrale. Du hattest gerade
Nachtdienst. Und du hattest dann noch einige Male Nachtdienst. Da
wir Brüder sind, würde man ohnedies schwerlich erkennen
können, dass das Kind gar nicht von dir ist! ... Nur musste
sie dich wenigstens glauben machen, es wäre dein Kind. ... So
bin ich auf die Idee gekommen, ... sie solle dir vorspielen, sie
wäre eine Kuh, muh, muh, muh ...
(Karl sinkt endgültig zu Boden, feuert noch einen Schuss
ab. Beide verröcheln und verbleichen.
Die Mutter und Sissi kommen herein. Stehen vor den Leichen.)
MUTTER: War skeptisch, das muss ich zugeben.
SISSI: Ich habe immer gewusst, es funktioniert. Ich habe ihm gesagt,
ein Stück Würfelzucker, in Gift getränkt, und die
Kuh ist hin. Sollte es ihm wirklich ernst damit sein, ein neues Leben
anzufangen. (Sie umarmen einander und drehen sich beschwingt.)
MUTTER: Wir hätten dem Treiben schon viel früher ein Ende
setzen sollen. Ich versteh nicht, dass sie sich noch immer einbilden,
sie könnten uns für blöd verkaufen.
SISSI: Und jetzt?
MUTTER: Jetzt müssen wir noch was mit Pipi tun. Der stinkt
schon wieder, ich rieche es bis hierher.
SISSI (konfus) Mir fällt heute nichts mehr ein. Mein
Phantasiekapital hat sich für heute erschöpft. Aber es
war ein guter Tag, finden Sie nicht, Mutter?
(Die Mutter zerrt Pipi aus dem Verschlag. Er hat einen Kalbskopf
auf einem menschlichen Körper, geht aber auf allen vieren und
grunzt. Um den Hals trägt er einen Strick als Leine.)
MUTTER: Komm, Pipi, du gehst jetzt zu Mama. Die will dich abschlecken,
und trinken musst du ja auch noch. Mama steht draußen am Teich,
wo der große Friede ist. (Zu Sissi.) Du gehst zum
Teich mit ihm, hängst einen Stein an den Strick ... und dann
einen kräftigen Schubs. Ich verständige die Rettung und
den Arzt. Und dass du dir ja ein paar Tränen rausquetschst!
Ab jetzt bist du die trauernde Witwe, kapiert? Und ich die leidende
Mutter. Ein perfektes Gespann! Und selbstverständlich haben
wir von nichts etwas gewusst. Und würden es niemals glauben!
SISSI (küsst der Mutter die Hand): Ach Mutter, ich
verehre Sie so!
MUTTER: Es war hoch an der Zeit, hier endlich auszumisten. Kein
Mensch soll es wagen, uns jemals wieder für dumm zu verkaufen.
SISSI: Kein Mensch! (Geht kichernd mit Pipi ab.) Komm, Pipi,
Mama steht draußen am Teich, wo der große Friede ist.
Komm, Pipilein, gehen wir Frieden suchen!
MUTTER (alleine, ganz Schicksalsgöttin, über den Leichen
ihrer Söhne thronend): Habe ich nicht gesagt: Gott sieht
alles!
(Blackout.)

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