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Todestag
Ein
bäuerliches Schicksalsdrama
von Peter Wagner
Uraufführung: 24.3.1993, Kulturzentrum Eisenstadt
Produktion:
Theaterarbeit in den Burgenländischen Kulturzentren
Besetzung: Mutter: Maria Urban; Sissi: Maria Martina; Franz: Ottwald
John; Karl: Georg Kusztrich; Pipi: Hans Sokol;
Bühnenbild: Wolfgang Horwath; Kostüme: Ulrike Plichta;
Maske: Doris Deixler; Produktionsleitung: Horst Horvath; Regie: Conny
Hannes Meyer
Wenn man die Kurve, die der Schnaps nimmt, gegen die Kurve,
die die Sprache nimmt, lehnt, könnte man vielleicht den gotischen
Bogen, den sie beide bilden, sichtbar werden lassen. Das aber müsste
furchtbar zum Lachen sein.
Peter Wagner, vorangestellter Regiehinweis.

Gedanken zu Peter Wagners „Todestag“
Seit den Zeiten antiken Theaters erlebte die in Griechenland entwickelte
Form der Tragödie oftmals aktuelle Ergänzungen und Adaptionen.
In der bekannten österreichischen Dramenliteratur erreichte
sie in vielen Theaterstücken der Jahrhundertwende einen stark
vom Jugendstil mitgeprägten Höhepunkt.
Wenn nun, in der gänzlich anders gearteten Gesellschaft unserer
Tage, ein österreichischer Stückeschreiber diese Form erneut
aufgreift, alle inzwischen entwickelten epischen Spielformen bewusst
außer acht lässt und sich freiwillig wieder in die strenge
Disziplin des aristotelischen Prinzips begibt, dann ist das ganz
gewiss nicht nur als literarische Pose zu verstehen.
Peter Wagner hat sich bei seinem TODESTAG überzeugend für
die antike Form, also für Einheit der Zeit, des Ortes und der
Handlung, entschieden. Die Auseinandersetzung zweier Brüder
an der Leiche der gemeinsamen Geliebten ist bei ihm kein harmloser
Streit zweier Betrunkener oder ein leicht beizulegender Zwist. Dieses
zeremonielle Besäufnis ist der notwendige Anlauf zur gnadenlosen
Austragung eines unlösbar gewordenen Konflikts.
In dieser Tragödie steht der Tod am Anfang und am Ende. Die
tote Kuh Elsbeth, Metapher für die existenzielle Verwurzelung
in uralten Traditionen, für die unlösbare Gebundenheit
an die Natur und hassgeliebtes Ersatzobjekt für alles, was ein
Leben voll zermürbender Alltagsarbeit genommen hat, ist Anlass
zu einer ersten und gleichzeitig letzten prinzipiellen Auseinandersetzung
mit tödlichem Ausgang.
Und dennoch sind es nicht die einander bekämpfenden und tötenden
Brüder, sondern die zu Tode beleidigten und entwürdigten
Frauen, die - um ihre Würde wiederzuerlangen - den Augiasstall
ausmisten. Freilich mit Verlust der nicht mehr geliebten und deshalb
zum Tode verurteilten Söhne und Gatten.
Das wirkliche Opfer ist ein Zwitterding, ein Mischwesen, ein kleiner
Minotaurus, der symbolisch für alles steht, was sich in dieser "Familie" zeit
ihres Bestehens unbewältigt angehäuft hat. Er ist durch
den Mord an seiner Mutter Elsbeth und durch den Doppeltod seiner
Ziehväter Vollwaise geworden und will mit den verbrecherischen
Mordanstifterinnen nicht länger leben. Er bittet um Erlösung,
um seinen Tod - der wird ihm gewährt.
Ohne also in ausgetretenen Pfaden überkommener Antikeninterpretation
zu gehen, erreicht Peter Wagner gewollt oder ungewollt klassisches
Maß. Was bei diesem Schauspiel überzeugt, ist die selbstverständliche
Kühnheit, mit der er seine zeitlose Mythe erzählt, der
große Entwurf, der sich nicht im Gestrüpp der szenischen
Aufbereitung verliert. Und nicht zuletzt ist es die Wiederentdeckung
der Rachegöttinnen aus durchaus heutiger Sicht.
In des Autors volksnaher Dramaturgie dampft trotz des gefährlichen
literarischen Terrains, auf das er sich mit der Wahl des Schauplatzes
begibt, kein dumpfes "Blut-und-Boden-Drama" in hoffnungslosem
Fatalismus schicksalsbestimmter Geschöpfe dahin, sondern in
Peter Wagners Tragödie ist des Menschen Schicksal der Mensch.
Das rückt sie uns nahe und läSSt uns immer noch Raum genug, über
sie zu befinden.
Conny Hannes Meyer
Briefwechsel aufgrund der Differenzen bzgl. einer Inszenierung

TODESTAG - Uraufführung
SPRECHER: Im letzten Jahr hat Conny Hannes Meyer die "Theaterarbeit
in den Burgenländischen Kulturzentren ins Leben gerufen. Die
erste, sehr gut gelungene Produktion ist schon im Herbst gelaufen.
Die zweite hatte letzten Mittwoch in Eisenstadt Premiere. TODESTAG,
ein bäuerliches Schicksaldrama von Peter Wagner. Auch diesmal
hat Conny Hannes Meyer selbst Regie geführt. Dorothee Frank
hat das Stück gesehen.
FRANZ (O-Ton): Die Beine, die Schenkel, das breite Becken, der Bauch
... wie habe ich den wundervoll geschwungenen Mund geliebt ... und
ihre Ohren ... und ihre Seele ... und ihre Mütterlichkeit ...
wie fürsorglich sie zu ihm war, fast zwölf Jahre lang ...
und dann ihr Stillhalten, ihre Hingabe, und dann den Kopf zurückgedreht,
die Sanftmut ihres Blickes, darin die ganze Welt lag, Karl, und nicht
weniger als das, die ganze Welt ...
SPRECHERIN: Auf dem Totenbett eine Kuh. Die Brüder Franz und
Karl beweinen ihr urplötzlich dahingerafftes Rindvieh, ihr Ein
und Alles, Elsbeth. Da fließt der Schnaps in Strömen.
Umsonst mahnen die alte Mutter und Karls nun endlich schwangere Gattin
Sissi zur Besonnenheit. Die Rivalität der Brüder um die
geliebte Kuh bricht auf, Bösartigkeiten kommen ans Licht. Der
hinterhältige Komplexler Franz und der um sein Glück betrogene
Karl bringen einander auf die gräßlichste Weise um. Wie
die beiden hinterbliebenen Frauen reagieren werden, das hat man sich
nicht bei der Lektüre des Textes, wohl aber durch Conny Hannes
Meyers Inszenierung schon ausrechnen können.
MUTTER (O-Ton): Wir hätten dem Treiben schon viel früher
ein Ende setzen sollen. Ich begreife nicht, daß sie immer glauben,
sie könnten mit uns machen, was sie wollen.
SPRECHERIN: Die beiden haben das ganze geschickt eingefädelt.
Ein in Gift getränktes Stück Zucker und später beim
Count-Down der Stamperln Alkoholnachschub, immer rechtzeitig und
diskret, mehr hats nicht gebraucht. Und den Minotaurus, den Elsbeth
mit Franz oder auch mit Karl gezeugt hat, den wird man auch noch
beseitigen.
PETER WAGNER (O-Ton): Die sehr wesentlichen Spurenelemente des Matriarchats
in einer patriarchalen Gesellschaft.
SPRECHERIN: ... sagt Peter Wagner. Natürlich ist TODESTAG kein
Stück über Perversion. Die Sache mit der Kuh dient einesteils
als Metapher für das Sterben des Bauernstandes, andererseits
als theatralischer Kunstgriff, ein Augenzwinkern, das die ganze blutrünstige
Klischeetragödie von vorne herein ins Absurde kippen läßt.
PETER WAGNER (O-Ton): Dieses Stück ist sehr sehr rasch entstanden,
in drei Nächten. Ich habe selbst unglaublich viel gelacht dabei,
bei der ganzen Geschichte. Daß jetzt etwas sehr Artifizielles
entstanden ist, das nehm ich mal so, das akzeptiere ich auch - in
gewisser Weise. Wir haben gestritten miteinander. Das, was ich aus
der Sprache gerne herausgeholt hätte, das kam leider nicht,
das wurde nicht erreicht, sondern eher stilisiert, und dadurch ist
die Groteske lückenhaft.
SPRECHERIN: Conny Hannes Meyer hat das absichtlich übersteigerte
Tragödienpathos des Textes durchaus ernst genommen.
CONNY HANNES MEYER (O-Ton): Ich hab den Vorwurf Wagners, der ja
einer antiken Tragödie entspricht, nämlich der Einheit
der Zeit, des Ortes und der Handlung, und die Verknüpfung der
Geschicke der Personen, die da handeln - das sind eigentlich
ganz antike Grundkonstellationen. Und das hat mich zu reizen begonnen,
das so zu machen. Der Spaß, der sich ... würde zu Klamauk verführt
haben, vor allem, weil da Trunkenheit dauernd zu spielen ist, und
dann glaubt man, man lacht über zwei Bsoffene, aber das ist
nicht das Thema. Die Trunkenheit und der Kampf mit dem Schnaps als
Waffe, das ist ja der Krieg, das ist der Kampf der Männer
gegeneinander und möglicherweise auch gegen die Frauen.
SPRECHERIN: Schon Wagners witzige dramatische Idee, eben die Konstellation
mit der Kuh, krankt an ihrer grobgezimmerten und psychologisch nicht
in allem schlüssigen Ausführung. Meyers Auffassung gibt
diesem Todestag dann den Todesstoß. Maria Urban, die die kleine
Rolle der Mutter gibt, ist die einzige, die ihre Figur kraft ihrer
Sprech- und Charakerisierungskunst aus der Diskrepanz zwischen Stück
und Inszenierung zu retten vermag. Georg Kusztrich reagiert auf diese
Diskrepanz beinahe unbeholfen. Auch Maria Martina wirkt unter solchen
Umständen fast hohl. Eine Produktion, die dem schönen Bühnenbild
von Wolfgang Horvath die starke Athmospäre schuldig bleibt.
Dorothe Frank, ORF Ö1, IM RAMPENLICHT, 27. März 1993,
15.05 Uhr

„Todestag“ sorgt für Aufregung
Unterschiedlich ist die Reaktion des Publikums auf das Stück „Todestag“ des
Burgenländers Peter Wagner. Begeistert bis entsetzt reagierten
die Besucher in Eisenstadt und Güssing. Der Künstler bietet
mit seinem Werk, einem einstündigen Schicksalsdrama, auch keine
leichte Kost: Mit einem düsteren Bühnenbild als Hintergrund
entspinnt sich ein Bruderzwist um eine geliebte Kuh (!) – eine
Parabel auf das traditionelle Erbrecht auf dem Land.
NEUE KRONENZEITUNG
Wagners „Todestag“
... Schrieb Peter Wagner wirklich ein „bäuerliches“ Schicksalsdrama
oder will er uns nur in die Irre und vielmehr vor Augen führen,
wie Menschen sind und sein können – dereinst, jetzt und
immerdar, ob auf einem Bauernhof oder anderswo? Deshalb die gehobene
Sprache? ...
Kein leichtes Stück, und tröstlich ist es auch nicht ...
BF
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2390Dw

Stücke Peter Wagner
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