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Textauszug
„Requiem.
Den Verschwiegenen“
Ein Lesungsstück von Peter Wagner
Franz Glötzl
13.10.1910, Bergmann, Vorbereitung zum Hochverrat,
Todesurteil
18.12.1942 in Wien hingerichtet
Quellen:
DÖW 1273
OLG Wien 7 OJs 372/42, DÖW 9770
DÖW 897
DÖW 1512, 95, 6201
GLÖTZL:
Egon Arthur Schmitd, Beobachter des Reichspropagandaminsteriums
bei VGH-Prozessen, wird am 12.8.1942 in seinem Dienstbuch vermerken:
STIMME I:
Zu 4. Glötzl, Franz, Bergmann, geb. 1910: Ein geschickter
KP-Agitator!
GLÖTZL:
Glötzl,
ranz. Bergmann.
Was weß die Geschichte von einem wie mir?
Was weiß einer
wie ich von der Geschichte?
STIMME I:
Der Regierungspräsident Tauchen teilt mit, daß im Bergwerk
Tauchen mißliche Zustände herrschen, dort erhalten die
Arbeiter seit vielen Monaten falsche Löhne, die zu ihren Ungunsten
verrechnet worden sind = soziale Mißstände.
GLÖTZL:
Wissen und wissen.
Ich wußte von einem Berg namens Sowjetunion.
Ich war stolz,
ein Bergmann zu sein.
STIMME I:
Die Unmenschen ziehen sich bewußt zurück von
der NS-Propaganda. Sie lesen keine Wandzeitung, keine Tageszeitung,
kein Flugblatt, gehen nicht in die Versammlungen und gehen ins Kino,
wenn die Wochenschau vorbei ist.
GLÖTZL:
Wenn ich mich recht erinnere,
war Leben eine Herzensangelegenheit.
Und in der Ferne stand der Berg
Sowjetunion.
Ich war stolz, ein Bergmann zu sein.
Ich bin es wohl noch immer.
Was bleibt mir denn, als mich an Schablonen
festzuhalten,
der Wind der Geschichte ist eisig,
und das Feuer des Berges wärmt
mich nicht mehr.
Die Geschichte hat mich längst aus dem Auge
verloren.
Da ist nur der Stolz,
meine Nahrung,
meine Rache.
STIMME II:
Kundmachung.
STIMME III:
Die am 12. August 1942 vom Volksgerichtshof wegen Vorbereitung
zum Hochverrat zum Tode und zum dauernden Verlust der bürgerlichen
hrenrechte Verurteilten
STIMME IV: Anton Roth, 30 Jahre alt, aus Stegersbach, Alois Pelzmann,
48 Jahre alt, aus Stegersbach, Franz Glötzl, 32 Jahre alt, aus
Bernstein, Ludwig Fabian, 42 Jahre alt, aus Tauchen
STIMME III:
sind heute hingerichtet worden. Berlin, den 18. Dezember
1942. Der Oberreichsanwalt beim Volksgerichtshof.
GLÖTZL:
„Im allgemeinen“, so beginnt ein Bericht mit der Überschrift „Stimmungsmäßige
Auswirkung der Verhängung von Todesstrafen gegen Kommunisten“,
der dem Gauleiter vorgelegt wurde, „im allgemeinen sickert
die Nachricht von der Verhängung eines Todesurteils im Wohnbereich
des Verurteilten nur langsam durch. Die Angehörigen äußern
sich in den wenigsten Fällen öffentlich zu dem Urteil.
Da die Einzelheiten, die zur Verurteilung führten, in der Bevölkerung
in den wenigsten Fällen bekannt sind, werden die Verurteilten
und das Ausmaß des Urteils meistens nicht den Tatsachen entsprechend
gewertet, sondern danach, wie der Verurteilte in der Öffentlichkeit
aufgetreten ist, wie er seine Arbeit im Betrieb verrichtete, wie
er sein Familienleben gestaltete und überhaupt nach seinen sonst
bekannten oder hervorstechenden Charaktereigenschaften. Das Urteil
wird in den meisten Fällen nicht danach gewertet, wie sich die
Tat für die Gesamtheit auswirkt, sondern in erster Linie läßt
man sich von Gefühlen der Menschlichkeit und des Mitleids, weniger
mit dem Verurteilten als mit der Familie, leiten, besonders da, wo
das Familienleben einwandfrei erschien. Mitbestimmend für die
Aufnahme des Todesurteils ist auch das Verhalten der Angehörigen,
die finanzielle Lage der Familie und deren sonstiges Auftreten in
der Öffentlichkeit. Es ist dabei zu bemerken, daß bei
der Aufnahme der Urteile eine gewisse Sensationslust eine Rolle spielt.
Zuchthausstrafen werden vollkommen ruhig und mit Zurückhaltung,
teilweise mit Befriedigung aufgenommen. Oft werden sie nur in der
engsten Umgebung des Verurteilten bekannt. Eine eindeutig zustimmende
Einstellung zu den Todesurteilen zeigt sich dort, wo 1.) der Verurteilte
als Kommunist bekannt war und von seiner Umgebung diesbezüglich
auch verwarnt worden war. 2.) der Verurteilte in seiner charakterlichen
Haltung und seinem Familienleben als nicht korrekt bekannt war. 3.)
als besonders schwer wird das Verbrechen dort gewertet, wo Angehörige
des Verurteilten an der Front stehen. 4.) oder wo durch die Tätigkeit
der Verurteilten eine Zersetzung der Wehrkraft beabsichtigt war.
Mit geteilter Meinung oder überhaupt indifferent wurde das Todesurteil
aufgenommen, wo in der breiten Öffentlichkeit der Verurteilte
wohl früherer Gegner bekannt, seine staatsfeindliche Betätigung
jedoch öffentlich nicht in Erscheinung getreten ist und er als
fleißiger Arbeiter bekannt war. Das Todesurteil wird in der
Bevölkerung dort als zu hart empfunden, wo 1.) in der Bevölkerung
weder von der kommunistischen Einstellung, noch weniger aber von
der kommunistischen Betätigung des Verurteilten etwas bekannt
war und daher der Bevölkerung überraschend kam. 2.) sowohl
das Familienleben als auch die gesamte Haltung des Verurteilten scheinbar
einwandfrei war, die Familie einen guten Ruf genoß, der Mann
als fleißiger Arbeiter bekannt war und die Spendefreudigkeit
ihn als durchaus positiv eingestellt erscheinen ließ.“
In der Ferne stand ein Berg namens Sowjetunion.
Was weiß die
Geschichte von einem wie mir?
Ich war ein geschickter KP-Agitator.
Womöglich.
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