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Grenzgänger – Das
lange Sterben des Hörspielautors Jan Rys aus Unterrabnitz im
Burgenland
Nach dem Originalmanuskript von Jan Rys „Grenzgänger“ für
die Bühne eingerichtet von Peter Wagner
Uraufführung: 25.4.1990 im Theater Am Ort im Offenen Haus Oberwart
(OHO)
Gastspiel im Celeste / Wien
Mit Peter Wagner (Jan Rys), Christian Paschinger (Flügelhorn)
Bühne: Wolfgang Horwath, Co-Regie und
Licht: Hans Panner, Musik: Wolfgang R. Kubizek;
Regie: Peter Wagner


„Weil ich der Meinung bin, dass den Zustand eines Emigranten
oder Flüchtlings nur der Tod lösen kann.“ hatte der
Schriftsteller Jan Rys 1959 in einem Brief über sein Hörspiel „Grenzgänger“ geschrieben.
Jan Rys, der aus Mährisch-Ostrau nach Österreich geflohen
war und in der Mühle zu Unterrabnitz bis zu seinem Tod im Jahr
1986 gelebt hatte.
„Eine offene Grenze, das ist ein Widerspruch in sich.“ heißt
es in den „Grenzgängern“. Und an diesem Schlüsselsatz
orientiert sich die szenische Bearbeitung, die Peter Wagner aus Deutsch
Kaltenbrunn im Offenen Haus Oberwart vorstellte.
Peter Wagner (O-Ton): „Ich habe auf jeden Fall diesen Text
doch ziemlich bewusst und mit wenig Berührungsängsten in
die Hand genommen, wo er ja ursprünglich aus zwei tragenden
Figuren besteht, zu einer verschmolzen, die letztendlich der Autor
selbst ist: Jan Rys oder – ich kann mich nicht ausschließen – ich
bin hier auch gemeint als Grenzgänger. Das sind Leute, die im
künstlerischen Bereich arbeiten. Und nicht nur die.“
Auf der bühne steht das authentische Mobiliar des Jan Rys.
Der Bücherschrank, der Schreibtisch und die Utensilien des krebskranken
Schriftstellers: Medikamente, Schnaps, Bier und die bis zuletzt unentbehrlichen
Zigaretten.
Den Zuschauerraum grenzt der Stacheldrahtzaun ein und das riesige
Portal der Kirchenruine von Inzenhof, einer Wallfahrtskirche im Niemandsland
(zwischen Österreich und Ungarn, Anm.). Die Grenzgänger
aus dem Hörspiel von Jan Rys, deren Dialogspiel Peter Wagner
in zweieinhalbstündigem Alleingang bravourös fort spinnt,
imaginieren nicht mehr Szenen der Erinnerung aus der verlorenen Heimat,
sondern sie kehren nunmehr zurück an den ort, von dem sie geflohen
sind: in das Land des Schriftsteller-Präsidenten Vaclav Havel,
in dem Freie Wahlen stattfinden werden. Sie fliehen noch einmal über
die Grenze, die jetzt eine „Offene Grenze“ ist.
Peter Wagner (Szenenausschnitt): „Hier gibt es keine Scheinwerfer,
auch keine Wachtürme. Nur Minen.“
Peter Wagner hat sich die Körpersprache seines Freundes Jan
Rys kongenial angeeignet und nützt die Möglichkeiten der
sparsam bestückten Bühne von Wolfgang Horwath, unterstützt
von einer raffinierten Lichtregie und der suggestiven Musik Wolfgang
R. Kubizeks, bezwingend aus. „Theater Am Ort“, wie man
es in solcher Geschlossenheit nur in Oberwart sehen kann.
Hans Rochelt, ORF-Radio

Nachdenken über Grenzen
... Der Text, vor mehr als dreißig Jahren verfasst, bezeichnet
heute noch so deutlich wie damals das Trauma der Emigrierten: den
lebenslangen Wunsch nach Heimkehr und deren gleichzeitige Unmöglichkeit.
Es ist eine äußerst aktuelle Thematik – nicht zuletzt
für Zuschauer aus der DDR. „Grenzgänger“ – ein
Stück zeitgenössischen deutschsprachigen Polittheaters,
dessen Premiere hierzulande auf dem Weg zum europäischen Deutschland
sehr wünschenswert wäre.
Andreas Müller, WELTBÜHNE, 30/90

Brüchiges Schneckenhaus
„Theater im Celeste“: Peter Wagners Bearbeitung des
Hörspiels „Grenzgänger“
Auch abseits der Festwochenpfade ist superbes Theater zu sehen.
Peter Wagner, dessen Stück „Lafnitz“ bis vor kurzem
im „Ensemble Theater“ zu sehen war, liefert mit „Grenzgänger“ eine
Hommage an seinen Freund und Lehrer Jan Rys.
Die Soldaten wieseln im Zeitraffer, aber diese Parade der Uniformierten
hinterlässt nur halbherzigen Unmut. Wird doch die Inauguration
Vaclav Havels, des erfolgreichen Dichters, gefeiert. Aber es ist
auch nur halbherzige Freude, die Jan Rys, der tschechische Emigrant
und nur mäßig erfolgreiche Hörspielautor, vor dem
TV-Schirm in seiner armselig eingerichteten Wohnung empfinden kann.
Das Exil ist ihm brüchiges Schneckenhaus geworden, Schauplatz
der auftauchenden traumatischen Fluchterlebnisse. Rückkehr in
die nun befreite Heimat ist nicht mehr möglich. Denn in ihm
wuchert der Krebs, und sein Name ist: Fremdheit.
Peter Wagner hat im „Theater im Celeste“ das Hörspiel „Grenzgänger“ seines
1986 verstorbenen Freundes und Lehrers Jan Rys mit dessen Biographie
und eigenen Empfindungen zu einem berührenden Monolog der Einsamkeit
und Aussichtslosigkeit verwoben. Das Fuchteln mit einer Fliegenklappe,
scheiternde Telefonierversuche, zielloses Hin- und Hergehen, das
Blättern im eigenen Buch – in einer dreiviertelstündigen
Pantomime entfaltet sich die schlurfende Müdigkeit des Exils.
Erst nach und nach fallen Worte, steigen Erinnerungen auf, formieren
sich Traumbilder von der Rückkehr in die frühere, nun fremde
Wohnung. Wie im Wiederholungszwang werden simple Wohnungskabel wie
Tellerminen überschritten, werden Tische zu Schlupflöchern
und Kisten zu Grenzbarrikaden. Die vom nahenden Tod bewirkte Euphorie
wird von der resignativen Einsicht abgelöst: „Es ist ekelhaft, überall
Grenze!“ Eine beeindruckende Darstellerleistung des Autors
Peter Wagner.
Erich Demmer, AZ

Rys´ letztes Band
... Im winzigen kalten Theaterkeller des „Celeste“ ist
man zweieinhalb Stunden lang unbarmherzig in das Sterbezimmer des
Jan Rys eingesperrt. Wenn zum erlösenden Ende der Trompeter,
weißgekleidet, Rys aus dem dunklen Raum durch die ins Licht
getauchte Tür hinausführt, wird der hoffnungslose Satz
des Autors noch einmal nachvollzogen: „ ... dass den Zustand
eines Emigranten oder Flüchtlings nur der Tod lösen kann.“
Mathilde Urban, FALTER
Stücke Peter Wagner
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