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Wirkungsstätte Gottes
Folterkammer seiner Kreatur:
"Gott Kabel der Stuhl
und die Klarheit"
Foto: Gerhard Krammer

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Textauszug

„Gott Kabel der Stuhl und die Klarheit“

von Peter Wagner

 

 

- Sieh mich an. K hebt den Kopf. Bin ich schön?

- Herr, ich sagte bereits ...

- (Spuckt ihm den Kern einer Traube ins Gesicht.) Gefällt dir das?

- Ich bin zu klein.

- Antworte!

- Herr, es steht mir kein Urteil zu. Ich bin zufrieden.

- Du bist zufrieden, ich bin es nicht!

- Was kann ich tun, um Deiner Aufmerksamkeit würdig zu sein?

- Antworte! (Bespuckt ihn mit einem Kern.) Gefällt dir das!

- Du bist der Herr. Ich bin ein Sünder. Ist es Dein Wille, mich der ewigen Verdammnis anheimzustellen, so werde ich Deinen Willen in mich nehmen.

- Vorher will ich, dass du mit mir kämpfst!

- Ich, der Sünder, soll meine Hand gegen Dich, meinen Gott, erheben?

- Wieso nicht, wieso eigentlich nicht!

- Es geziemt dem Profanen nicht, sich mit dem Ewigen zu messen.

- Und also geziemt es dem Ewigen nicht, sich mit dem Profanen zu messen. Was willst du mir da einreden! (Gibt K einen Tritt.)

- Herr, ich bin so oft getreten worden, man bekommt Routine im Ertragen des Schmerzes. Er ist das tägliche Brot des Überlebenden.

- Und es schmerzt dich nicht doppelt, dass ich dich trete? Dass Gott seine vom Schicksal getretene Kreatur am Ende auch noch tritt?

- Er alleine weiß, warum er es tut. Sein Wille ist das Gesetz der Welt.

- Und das Gesetz der Welt ist grausam.

- Es ist auch voller Liebe! Die Hauptstadt ist letztlich doch gefallen. Das Unrecht wucherte sich zu Tode. Auch wenn es die Menschen zu Verdammte machte für alle Zeit. Dennoch ist die Hauptstadt gefallen, und es fallen alle Hauptstädte irgendwann. Auch das ist Gottes Botschaft. Ich habe ihr stets vertraut. Ich verstehe, dadd Du mich, Deinen Knecht, prüfen willst.

- Schon gut. (Sie setzt sich auf den Stuhl.) Iss von dem Obst. Tu, was ich sage. (K streckt die Hand nach dem Obst, sie zieht die Schüssel weg.) Iss von dem Obst! (Er streckt die Hand nach der Schüssel, sie zieht sie erneut weg.) Fünf Hiebe, Kabel, wenn du jetzt nicht isst! (Er streckt die Hand nach der Schüssel, sie zieht sie ihm weg.) Nun gut. Fünf Hiebe auf dem Bock, Du willst es nicht anders.

- Herr!

- Was.

- Ich bin ein Sünder. Ich habe zeitlebens versucht, Gottes Geboten zu entsprechen. Ich gestehe, dass es mir nicht immer einfach war, Deinen Willen zu erkennen. Ich war zu klein. Herr, schenk mir die Größe, Deine Hiebe zu empfangen, mit Freude zu empfangen, ihrer würdig zu sein. Denn sie sind von Dir, meinem Gott.

- Hast du jemals aufbegehrt gegen deine Peiniger?

- Ich habe sie verflucht! Mehr hatte ich nicht. Nein, ich habe nicht aufbegehrt, ich wollte leben, ohne ein Held zu sein, ohne ein Verräter sein zu müssen. Ich erkenne kein Unrecht darin!

- Dennoch quälten dich Schuldgefühle ein Leben lang. Wieso, Kabel?

- Ich weiß nicht, Herr!

- Antworte!

- Warum hast du überlebt, fragten die Schwären meines Gewissens, warum hast ausgerechnet du überlebt, Häftling Kabel, Nr. 086573. Es waren so viele wie ich, keine Helden und keine Verräter. Aber im Gegensatz zu den meisten anderen habe ich die Hauptstadt verlassen, aufrechten Ganges. Hatte ich überhaupt ein Recht dazu? Machte mich das Überleben nicht verdächtig? War ich nicht doch zu einem Verräter geworden, zu einem Verräter an all den grausam verreckten, zu Tode geprügelten, erschossenen, verhungerten, vergewaltigten, vergasten und verbrannten Schicksalsgenossen? Und ausgerechnet ich habe überlebt, ist das wahr? O nein, Herr, ich habe keine Sekunde gezögert, Dir zu danken, Du hast mir das Leben gerettet. Und dennoch hatte ich, trotz aller Dankbarkeit, zeitlebens gegen ein merkwürdiges Gefühl anzukämpfen. Gott anerkennt deinen Dank nicht, sprach etwas in mir, seine Aufmerksamkeit hat sich mit der Gnade erschöpft, die er den Überlebenden zuteil werden ließ. Du hast die Gnade Gottes empfangen und mit ihr die Einsamkeit. Und tatsächlich, so war es. Als ich die Hauptstadt verließ, wähnte ich mich nicht so sehr gerettet als das erste Mal von Gott verlassen. Ich spürte, dass er seine millionenfach krepierten Kinder, seine unschuldig Verschlungenen mehr liebte als die, die er dem Tod entrissen hatte. (Er wirft sich zu Boden.) Verzeih, Herr, mein unwürdiges Empfinden. Du bist der Ursprung des Lichtes. Du gibst es, Du nimmst es. So wie Du alles gibst und alles nimmst.

- Auch die Prügel deiner Peiniger?

- ... auch die Prügel.

- So bin ich ein Peiniger?

- Ja, Herr, auch das bist Du in Deiner Unendlichkeit. Deine Pfade sind verschlungen, wir alle geraten auf der Suche nach dem Heil und der Wahrheit unweigerlich in die Irre. Der eine mehr, der andere weniger.

 

Alle Rechte für das Stückmanuskript seit 2004 wieder beim Autor.

 
Buchausgabe „Tetralogie der Nacktheit“

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