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Thomas Kamper als Kabel,
Michaela Galli als Gott:
"Gott Kalbe der Stuhl
und die Klarheit"
Theater des Augenblicks

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Gott Kabel der Stuhl und die Klarheit

von Peter Wagner

 

„Shlabbesz“, Preis des Internationalen Hörspielzentrums in Rust

 

Uraufführung: 26. November 1993 im Theater des Augenblicks Wien

Besetzung: Michaela Galli und Thomas Kamper

Bühne: Erich Sperger, Musik: Peter Kaizar, Kostüme: Hans Tschiritsch, Maske: Elisabeth Preindl, Hospitanz: Nina; Produktionsleitung & PR: Markus Lidauer, Produktion: Pro Arte

Regie: Thomas Kamper

 


 

Kabel, ein Jude, der das KZ überlebt hatte, ist als alter Mann gestorben. In einem Zwischenreich begegnet er Gott, seinem Gott, der ein junges Mädchen ist, vielleicht seine unerfüllte Jugendliebe.

Kabel, der sich schon am Ziel glaubt, wird von der Hölle seines Lebens eingeholt. Mit dem Mädchen, diesem dämonischen zugleich sehr menschlichen Kindgott, durchlebt er alle Schrecken seiner Vergangenheit. Er, das Opfer, wurde zum Täter, als ihn die SS zwang, ein Kind halbtot zu schlagen. Das Stück handelt von Schuld und Schuldgefühlen, von Liebe und dem Verlangen nach Erkenntnis.

GOTT: Ich will nur eines: Klarheit über das Ausmaß der Welt, die ich aus meinem Bauch geboren habe.

Aus der Programmankündigung, Theater des Augenblicks.

 


 

Der kleine weiße Punkt – zum Text

Ein Text kann verschiedene Funktionen in einem theatralischen Akt haben – dieser Text wird Ort des Aufbruchs und zugleich das Ziel einer Reise sein: einer Forschungsreise, deren Gegenstand eine Beziehung ist.

Gott            Ja. Das Licht ist beides: Hoffnung und Verderbnis.

Kabel            Ich hielt mich an die Hoffnung. Und ich tat gut daran. Ich habe überlebt.

Gott            Was hast du überlebt? Nichts hast du überlebt. Schweig!

Der Text versucht, sich einem Thema zu nähern, über das sich nicht sprechen lässt. Seine Worte stellen sich dem Ungeheuerlichen, ohne Eitelkeit, tapfer scheiternd mit dem Brandmal der Notwendigkeit. Er ist ein dichtes Geflecht, ein dramatisches Gedicht, das nach sinnlicher Vergegenwärtigung verlangt.

Seine Intimität ist seine Größe. Die Aufmerksamkeit auf zwei Menschen, von denen der eine nichts ist ohne den anderen, von denen der eine jeweils Gott des anderen ist, zeugt eine Gegenwart als Spiegel, in dem Vergangenheit lesbar wird – unausweichlich.

Alles vordergründig Messbare, das dazu dient, dem Gesellschaftssystem ein paar Krokodilstränen herauszupressen, als Krücken verweigernd, zieht er sich zurück mit seinen unvernarbten Wunden. Er zieht sich zurück von allem Demonstrativen, das neben diesem Text zu Aufmärschen, Festreden und Blasmusikkapellen verkommt. Zurück auf einen kleinen, weißen Punkt:

Kabel            Er alleine weiß, warum er es tut. Sein Wille ist das Gesetz der Welt.

Gott            Und das Gesetz der Welt ist grausam.

Kabel            Er ist auch voller Liebe.

Mit dem verzweifelten Hymnus, mit der Kraft, die er verlangt, mit der Kabel seinen Peinigern zum Trotz versucht, Gott von Gott zu überzeugen, muss heute ein Spiel begonnen werden! Und wie in diesem Stück das Leben vorbei ist, hebt sich das Spiel vom Leben ab, indem die Zeit sich ihrer selbst bewusst wird.

Das Spiel – diese schmerzliche Rettung – ist ein Mittel zur Erkenntnis, Klarheit, wie es im Stück heißt, und wird zu einem Ausdruck entfesselten Denkens, zu einem Akt anarchistischer Religiosität. Denn im selben Maße, wie in diesem Stück die Vergangenheit Gegenwart wird, verliert Gott seine Allwissenheit. An deren Stelle tritt die Vorstellungskraft, um zu schauen, was Worte noch können, was das Spiel noch kann.

Gott            Dein Spiel ist ungenau!

Kabel            Spiel, Herr?

In dieser Frage sind Kabels Entsetzen und Hoffnung zugleich. Das Spiel ist unser kleiner weißer Punkt, er ist unendlich.

Thomas Kamper, Regie

 


 

Von der Eindeutigkeit zur Zweideutigkeit zur Vieldeutigkeit – zur Umsetzung

Der Text, aus Erzählung, Dialogen und Wechselreden bestehend, lässt sich nach dem musikalischen Vorbild der Suite gliedern. Wobei jeder Tanz – einer eigenen Gesetzmäßigkeit folgend – über sich hinaus, zu den anderen Tänzen in Beziehung stehen soll

Das Bemühen um eine reale Grundsituation veranlasst dazu, Gegenstände auf die Bühne zu stellen, die das leichte Erfassen eines Ausschnitts aus einer bestimmten Wirklichkeit ermöglichen. Diese Wirklichkeit wird sich bald verändert haben. Schließlich werden auch die Gegenstände ihre Bedeutung verändern, um sie zuletzt ganz zu verlassen. Das Licht soll diesen Vorgang unterstützen und den Zeitablauf suggerieren.

Der Raum soll breit, tief und hoch genug sein, um keine falsche Enge zu erzeugen. Die Nähe der Körper zueinander ist dann eine wirkliche Nähe. Ebenso verhält es sich mit der Entfernung der Körper voneinander.

Der Anfang des Stücks setzt eine Vertrautheit zwischen den beiden Personen voraus, die erst aufgebaut werden muss. Diese Funktion hat das Präludium, die Exposition der realen Grundsituation. Der Anfang selbst ist durchwoben von einer fast unendlichen Zärtlichkeit, die bis zum Auftauchen der ersten Irritationen, des ersten zaghaften Vorwurfs, des ersten leichten Zynismus möglichst lange dauern soll.

„Bin ich schön?“ – „Ja.“ Die beiden Protagonisten lösen sich aus einer Menschengruppe, kommen zur Tür herein, scheu und glücklich. Die Stimmen der Menschen von draußen, gäste oder Besucher, verstärken zunehmend die Einsamkeit der beiden. Nach der Generalpause (vor dem Satz: „Der Junge, er hat dir übrigens verziehen.“) wird der Tanz immer wilder. Der Tanz ist hier die innere Struktur; das innere Tempo wird immer panischer, das Spiel ist längst zum Metaspiel geworden.

Die betörende Klarheit wird erschreckend, die Linien der Figuren beginnen voneinander abzuweisen, treffen sich nur mehr zufällig, kollidieren, werden streitbar. Die Figuren durchtanzen alle Stadien einer Beziehung, auch deren Stereotypen, vom Kind bis zum Greis.

Denn dieser Gott ist nicht nur launisch, üppig, barbarisch, sondern auch ein Kind, das auf einen Thron geschubst wurde, ein geprügeltes und verlassenes Kind: die Schwester, die sich um den Fall Kabel kümmert, die Tochter, die dem toten, um sein Leben betrogenen Vater die Augen schließt.

Kabel trägt einen feinen Anzug. Seine Stimme ist gebrochen. Je mehr er sich entkleidet, desto mehr von seinem geschundenen Leib wird sichtbar.

Und umso mehr verändern sich auch die Gegenstände: Das Zimmer ist zunächst das Zimmer eines Menschen, der Bücher schreibt, um das schlechte Gewissen der Gesellschaft zu beruhigen. Ein Zimmer, das Geschmack, Gediegenheit und Wohlstand vermittelt, wird dann zu einem Anstaltszimmer, wobei die Gegenstände (Stuhl, Bett, eine Bücherwand, ein Tisch mit Obst und Büchern, als Verbindung nach draußen ein Fenster, eine Tür) ihre Bedeutung noch behalten. Zuletzt werden die Bücher zu Akten, die Bücherwand zu einem Archiv, das Bett zur Pritsche, der Stuhl zum Folterplatz, das Obst zur letzten, einzigen Nahrung, die Tür zur Waggontür, hinter der die Stimmen der Eingepferchten schreien. Das Fenster, einst Symbol der Hoffnung, wird zur unüberwindlichen Grenze.

Erst wenn Gott Kabel nackt ist, gibt es nichts als den Leib, und die Grenzen des Raumes lösen sich auf.

Thomas Kamper, Regie

 

 

Zwischen Tod und Erlösung
Seltsame Parabel im Theater des Augenblicks

Stücke, die sich mich Gott und Jenseits beschäftigen, wie solche, die Opfer von Gewaltherrschaft in den Mittelpunkt stellen, sind meist problematisch. Der österreichische Autor Peter Wagner (Jahrgang 1956) hat sich in seiner Parabel „Gott Kabel der Stuhl und die Klarheit“ gleich beides aufgebürdet.

Die Handlung: Ein alter Mann, der einst das KZ lebend verließ, kommt nach seinem Tod in ein Zwischenreich, in dem er einem kindlichen „Gott“ begegnet, seinem ganz persönlichen Richter, aus seinem schlechten Gewissen geboren, da er im Konzentrationslager auf Befehl ein Kind brutal schlug, dabei obendrein in einen Gewaltrausch kam und den Knaben fast zu Tode prügelte. Diese Tatsache versucht er zu verschleiern, bis das Wesen ihm gegenüber ihn zwingt, seine Schuld zu bekennen. Darauf folgt allerdings nicht die Erlösung, sondern er muss sich immer mehr physisch und psychisch entkleiden, eine Strafsanktion wohl, dem Fegefeuer vergleichbar. Schließlich taumelt er, völlig erschöpft, hinaus, einem Licht entgegen.

So weit klingt es klar und logisch. Doch ist dies nur eine von vielen möglichen Deutungen. Das Ganze könnte auch gottesleugnerisch, menschenverachtend oder frauenfeindlich (der launische „Kindgott“ ist eine Frau) gemeint sein. Zu unklar bleibt alles, zu verschwimmend sind die Grenzen.

Thomas Kamper, der auch selbst ungemein präsent und intensiv den Kabel spielt, inszenierte einfallsreich, doch vielleicht manchmal zu verwirrend gekünstelt. Michaela Galli gibt dem weiblichen Kindogtt viele Nuancen. Von bestechender Klarheit ist das Bühnenbild von Erich Sperger. Peter Kaizar steuerte zu dieser Produktion im Theater des Augenblicks die Musik bei, Hans Tschiritsch die Kostüme.

Lona Chernel, WIENER ZEITUNG

 


Stücke Peter Wagner

 

 

Textauszug „Gott Kabel der Stuhl und die Klarheit“

Alle Rechte für das Stückmanuskript seit 2004 wieder beim Autor.

 

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