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"Die Nackten"
Theater m.b.H., Wien

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Die Nackten. Ein Erlösungsdrama

von Peter Wagner

 

Uraufführung: 11. Feber 1995 im Theater m.b.H, Wien

Besetzung: Alexander Bogner, Evelyn Fuchs, Paola Loew, Berenice Pahl, Herbert Pendl, Karl Schmid-Werter, Volker Wahl und Johanna Tomek

Bühnenbild und Kostüme: Werner Schönolt, Licht: Ernst Zettl, Stefan Pfeistlinger,
Regie: Zijah A. Sokolovic

 


 

 

Martin Traxl im Gespräch mit Peter Wagner:

Der burgenländische Autor Peter Wagner – in diesen Minuten mit der Abwicklung der Gedenkveranstaltungen für die Bombenopfer von Oberwart beschäftigt – wird zur heutigen Uraufführung seines neuen Stückes in Wien wohl zu spät kommen. „Die Nackten. Ein Erlösungsdrama“ nennt der Autor sein Werk, das Zijah Sokolovic im Theater m.b.H. inszeniert hat. Die Geschichte einer 70jährigen Frau, die in ihrer Jugend den Tod eines Zigeuners mitverschuldet hat. Und dieser Zigeuner, der ihr Liebhaber war, erscheint ihr nun im Alter als Traumgestalt wieder. Wir haben gestern mit Peter Wagner über das Verhältnis dieser Personen gesprochen.

„Ich habe dieses Stück begonnen in der laufenden Waldheim-Debatte. Ein Mensch, Oberhaupt eines Staates, ist nicht imstande, Schuld zu bekennen, egal, in welcher Form. Hier kämpft eine Frau ihr Leben lang mit sich und weiß, dass im Endeffekt nur das Bekenntnis ihrer Schuld ihr dann auch die Freiheit zu sterben, sprich die Freiheit zu leben, geben wird. Denn tatsächlich kann sie nicht sterben, solange sie diese Schuld nicht bewältigt hat. In dem Augenblick, wo ihr Bekenntnis vorhanden ist, setzt auch ihre Freiheit, die Schuld zu überwinden, ein, passiert eine gewisse Erlösung aus einem – ich würde fast sagen – urmythologischen Hintergrund heraus.“

Das Umfeld dieser Beziehungsgeschichte ist ein surreales, auch traumhaftes. Es geht darum, dass nackte Menschen – daher auch der Titel – in eine Stadt kommen, kein Mensch weiß, woher sie kommen. Sie werden immer mehr, sie legen das Leben rundherum völlig lahm. Wofür stehen die Nackten?

„Sie stehen für das, was jede einzelne agierende Person aus ihnen macht. Sie sind definitiv, als Funktionen, nicht erklärt. Die Nackten können wiederkehrende Tote sein, die Nackten können Schuldgefühle sein, die Nackten können eine Urerinnerung an Unschuld sein, verbunden mit Bewusstsein auf die eigene Vertriebenheit aus dem Paradies. Da gibt es viele Möglichkeiten, und letztendlich stehen nicht nur die Personen, die agierenden Personen, vor ihrer privaten Lösung, sondern – so hoffe ich – auch die Zuschauer.“

Herr Wagner, Sie sind Burgenländer, Sie werden von den schrecklichen Ereignissen der letzten Tage direkt betroffen gewesen sein, weil es in unmittelbarer Nachbarschaft passiert ist. Was kann eigentlich der Autor, wie Sie sagen, auch als Chronist, der Theaterautor, was kann das Theater gegen eine solche Realität überhaupt aufbieten?

„Erstens kann das Theater überhaupt nichts verändern, das wäre auch eine vollkommen unrealistische, naive Selbsteinschätzung künstlerischer Arbeit. Aber, was das Theater sehr wohl kann: Es kann den Blick schärfen, jene Differenzierungen entwickeln, die letztendlich in der Argumentation, in der Bewältigung unserer Grundprobleme sehr wichtig ist. Ich habe die Vorstellung, dass das Theater uns reifer macht, aber nicht verändert. Obwohl auch das Reifer-Werden eine gewisser Veränderungsprozess ist, aber den kann wiederum nur der Einzelne vollziehen – sofern er sich hingibt. Und das Angebot dazu kann das Theater liefern.“

Dieses Angebot machen Sie bereits wieder im März, in Oberwart, wo Sie ihr nächstes Stück bereits vorstellen. Es trägt den Titel „März. Der 24.“ Und hat ein historisches Ereignis zum Inhalt: die Ermordung von 180 jüdischen Zwangsarbeitern. Was ist da genau passiert?

„Am 24. März 1945 kam in Rechnitz ein Zugtransport mit 180 sehr, sehr kranken jüdischen Zwangsarbeitern an. Gegen Abend begann ein Fest im gräflichen Schloss, bei dem die örtliche Parteiprominenz, HJ, die Gestapo und die gräfliche Familie dabei waren. Gegen 23 Uhr, sozusagen zum Höhepunkt des Festes, hat man Gewehre verteilt, man ist runter zum Kreuzstadel gefahren. Die Juden sind dort inzwischen eingetroffen, man hat sie in das vorbereitete Grab ´hineingeschossen´ und ist zurück zum Fest und hat bis in die Morgenstunden in bester Laune und Stimmung weiter gefeiert. Auch das ist ein Endzeitdrama, der Versuch, die archetypische Situation in der Endzeit eines gesellschaftlichen Systems zu rekonstruieren. Sozusagen ein rauschhafter Versuch der nachträglichen Rechtfertigung eigenen Agierens, eigener romantischer Fantasien auf Weltveränderung, die letztendlich in die größte Katastrophe der Neuzeit gemündet ist.“

IM RAMPENLICHT, Ö1, 11. Feber 1995

 

 

Peter Wagners krasse Fabel

In einer Welt der totalen Entsolidarisierung reißen die Mitglieder der Gesellschaft einander nicht nur in den psychischen, sondern auch in den physischen Abgrund.

Peter Wagner schafft in seinem totentanzähnlichen Stück „Die Nackten“ das seltene Kunststück, keine einzige Figur auftreten zu lassen, für die man Sympathie empfinden könnte.

Die an den Rollstuhl gefesselte bresthafte Geysing (Paola Loew) ist eine von Enttäuschungen gezeichnete Frau, ihre Tochter Klara (Johanna Tomek) glaubt, durch wechselnde Partnerschaften ihre psychischen Probleme lösen zu können.

Ihr Sohn Bruno (Volker Wahl) ist ein Neurotiker mit Machoanflügen, Ramani (Karl Schmid-Werter), der aktuelle Mann von Klara, eine Mischung aus Zuhälter und Industriellem, hat als Macho mehr Format als der fähige Bruno, dessen Vater eine blässliche Büroerscheinung ist: Hubschmid (Herbert Pendl), der als oberste Maxime in seinem Leben nichts anderes kennt als die Pflichterfüllung.

Allen gemeinsam ist ein Außenfeind, die Nackten, die durch gewaltlosen Widerstand den Besitzenden, also den Bekleideten, den Kampf angesagt haben. Über die Nackten ist nichts zu sagen, sie treten in dem Totentanz nicht auf. Umso mehr ist über die Bekleideten zu sagen, die im Laufe des Stücks immer mehr psychisch entkleidet werden. Sie sind einander die ärgsten Feinde, stets auf den eigenen Vorteil bedacht. Nur in einer Welt, die dem Untergang geweiht ist, reißen einander die entsolidarisierten Mitglieder einer Gesellschaft in den Abgrund, nicht nur in den psychischen, sondern auch in den physischen. Daher bleibt am Ende dieses Totentanzes völlig folgerichtig nur die halbe Nutte Klara über, die in Vollziehung des Beischlafs mit einem Toten in Ekstase gerät. Sie hat sich eine Pistole in den Mund geschoben. Die Hand ist am Abzug, doch der Schuss fällt diesmal nicht.

Peter Wagners Totentanz ist eine krasse, ins Mystische gehende Parabel, die von den gegebenen Verhältnissen ausgeht und ihren Endpunkt irgendwo in einer nicht näher bezeichneten Zukunft findet. Dem Theater m.b.H. ist zu dieser Uraufführung zu gratulieren.

Helmut A. Niederle, DIE FURCHE

 

 


 

Stücke Peter Wagner

 

Bekenntnisse eines Süchtigen – Aus dem Programmheft
Textauszug „Die Nackten. Ein Erlösungsdrama“

Alle Rechte für das Stückmanuskript seit 2004 wieder beim Autor.

 

Buchausgabe „Tetralogie der Nacktheit“

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