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Die
Briefeschreiberin
von Peter Wagner
Manuskript. (Originalversion 1994, Bearbeitung 1999)
Deutsche Bühnen-Erstaufführung 2006
Uraufführung Prato/Italien 1999 (italienische Übersetzung)
Hörspielinszenierung
ORF/SFB 1995
5 Personen: Paula, Emma, Anna, Sissi, Maria
Facies non omnibus una
nec diversa tamen
Ovid
Deutschsprachige Bühnenuraufführung frei!
Neue Dramatik aus Österreich – Peter Wagner
... Ganz anders geschrieben ist das Stück „Die Briefeschreiberin“ von
Peter Wagner. Wagner ist Jahrgang 1956, seit 1975 freischaffender Autor.
... Sein Stück „Die Briefeschreiberin“ verwendet zwar durchaus
Elemente, die durch die öffentliche Diskussion in den Mittelpunkt auch
literarischer Auseinandersetzung gerückt sind: zum Beispiel das Wort „vergessen“.
Zwar verwendet auch er ein Zitat (von Ovid). Ansonsten sind aber im Stück,
das seiner Mutter gewidmet ist, keine expliziten literarischen Querbezüge
vorhanden.
Die Personage des Stückes besteht aus fünf Frauen. Im Mittelpunkt
steht Paula. Man schreibt das Jahr 1945. Ausschnitte aus dem Verlagstext: „Fünf
Schwestern warten auf die Rückkehr der Männer ihres Dorfes aus
der Kriegsgefangenschaft. Warten tatsächlich alle fünf? Die junge
Maria ersehnt die Heimkehr ihres verehrten Bruders Heinz, Sissi glaubt, in
den Augen ihres Sohnes Alexander die Ankunft des Vaters (von Alexander – Red.)
vorhersehen zu können, Anna hat Kaspars Kriegsbereitschaft als Vertrauensbruch
erlebt, und Emma quält die Frage, ob nicht auch Paula Erichs Rückkehr
erwartet. Heute soll ein LKW am Dorfplatz ankommen und fünf Heimkehrer
abladen. Wieviele Frauen werden warmes Wasser und Abendessen vorbereiten?
Wie wird es weitergehen? Wohin mit den alten Hoffnungen?“
Das Spannende an dem Stück sind die Darstellungen der Figuren, ihre
Psychologie. Es werden nicht idelogische Positionen gegeneinandergestellt,
sondern Figuren, die aufgrund ihres Alters, ihrer Abhängigkeiten, ihrer
Wünsche, ihrer Hoffnungen, ihrer Ziele zur Heimkehr von Soldaten, zu
den Befreiern/Besatzern, dem „Judenzug“ völlig unterschiedliche
Positionen haben, die sie auch austragen. Die Identität/Nichtidentität
der Figuren wird anhand der Stellung der Schwestern deutlich, für die
Paula Briefe an deren Männer an der Front geschrieben hat.
Ein wichtiges Stück, dessen Uraufführung noch frei ist.
ZEITSCHRIFT DER JURA SOYFER GESELLSCHAFT, Nr. 2/1995
Peter Wagner, Die Briefeschreiberin
Regiekonzept
Die Briefeschreiberin von Peter Wagner ist ein Stück über das
Warten. Paula: Das Warten ist eine Unart der Frauen. In einem irrealen
Raum, einem Warteraum des Lebens, warten fünf Schwestern auf die Rückkehr
der Männer aus der Kriegsgefangenschaft. Ihr Warten ist mit Hoffnung
verbunden, Hoffnung auf das ersehnte Wiedersehen. Dieses Warten macht aber
auch Angst vor einer tatsächlichen Begegnung. Wie kann man nach all
dem noch zusammen leben? Sissi: Oh Gott, was für ein Mensch kommt
da auf mich zu, einer den ich vielleicht gar nicht kenn!
Die Jüngste, Maria, wartet auf ihren Bruder Heinz, dessen Tod an der
Front man ihr verschwiegen hat. Sie wartet auf die Weiterführung der
gemeinsamen Kindheit mit dem geliebten Bruder.
Sissi wartet auf Michael, den Vater ihres Sohnes. Auf die heile Familie,
auf die Verdrängung all dessen, was man erlebt hat. Paula zu Sissi:
Euch steht die Welt offen. Den Krieg hat es nie gegeben.
Anna, die „Russenhur“, wartet auf Kaspar. Aber nur um ihm die
Wahrheit zu sagen, dass sie das Kind eines russischen Gefreiten abtreiben
ließ und um für immer fort zu gehen.
Emma, die zweitälteste, wartet auf ihren Mann Erich, den sie sich erkämpft,
dessen Zuneigung sie der großen Schwester abgetrotzt hat. Emma
zu Paula: Ich habe es nicht ertragen, dass du alles haben solltest. .. Dafür
habe ich den Mann, der dich wollte.
Paula, die Briefeschreiberin, die Lehrerin, die illegale Nationalsozialistin,
für die Hitler „wie der liebe Gott“ war, ist das Zentrum
des Wartens. Aber wartet Paula? Und worauf? Paula: Warten macht hässlich.
Es gibt nichts Hässlicheres als eine Frau, die wartet. Sie hat
nach dem Tod der Mutter und dem Verschwinden des Vaters die Familie zusammen
gehalten, hat die jüngsten Geschwister großgezogen, hat Verantwortung übernommen. Anna
zu Paula: Du hast an diesen Krieg geglaubt. Paula: Wir haben unsere Pflicht
getan. Vielleicht wartet Paula nach dem Verlust ihrer Lebensvisionen
nur noch auf den Tod. Paula: Es hat etwas Höheres gegeben als irgendeinen
Menschen. Und dieses Hohe, dieses Unermessliche hat nach seinem präzisen
Opfer verlangt. Paula wird sich, wenn alle zum Dorfplatz laufen, um
den Transport mit den fünf Männern aus dem Dorf zu begrüßen,
das Leben nehmen. Sie tanzt mit dem verlorenen Krieg den Totentanz.
Fünf Frauen mit fünf unterschiedlichen Lebenskonzepten,
in völlig konträren Lebensphasen, in einem irrealen Lebensraum.
In seiner Mitte ein Karton mit neugeborenen Katzen, die darauf warten, ertränkt
zu werden. Sinnbild überbordender Fruchtbarkeit. Emma: Warum geht
es bei den Katzen so einfach? … Vielleicht hab ich die Kinder gar
nicht wollen.
Die Menschen, die nicht anwesend sind, die Eltern, der gefallene Bruder
usw., scheinen fast ebenso viel Raum einzunehmen wie die Anwesenden. Die
Mutter lebt weiter in einem Kleid, das Maria trägt. Maria: Ich hab
gelesen, dass sich hinter jedem Spiegel ein Toter verbirgt. Immer, wenn ich
in den Spiegel schau, seh ich für eine Sekunde eine Frau. Sie weint.
Es möchte die Mutter sein. Die Frauen definieren auf unterschiedliche
Weise ihr Leben über die Imagination der abwesenden Männer. Diese
scheinen die Schwestern zu amputieren, sie zu blockieren. Soldaten tauchen
als surreale Figuren auf, begleiten die Frauen ein Stück, verschwinden
wieder. Diese Soldaten, die Personifizierung der Frauenfantasien, bevölkern
als stumme Zeugen die Bühne. Anonyme Gestalten, vom Krieg gezeichnet,
für die Schwestern fremd und vertraut zugleich. „Die Hölle,
das sind die anderen“, heißt es in Sartres „Geschlossener
Gesellschaft“. Anstatt drei Toter warten in Peter Wagners Briefeschreiberin
die Lebenden und die Toten – wobei die Lebenden vielleicht toter sind,
als sie denken – schicksalhaft zusammengeschlossen. Worauf? Auf Godot?
Die Begegnung mit den Toten erfordert eine eigene theatrale Ebene,
vielleicht die Übersetzung in Musik, die Umsetzung des erwähnten
Totentanzes.
Das Stück ist ein Schauspielerinnen – Stück. Ein dicht gewebtes
Netz von Beziehungen zwischen den Schwestern, zwischen Eltern und Kindern,
zwischen Lebenden und Toten verlangt es, an den Schichten, die übereinander
liegen, zu kratzen und tief in die Psychologie der Figuren einzutauchen.
Wagner hat scheinbar natürliche Menschen geschaffen, uns nahe und vertraut
in ihren alltäglichen Nachkriegsnöten. Gleichzeitig hat er durch
die Verdichtung des Geschehens auf einen Raum eine absurde Theatersituation
geschaffen. Diese gegensätzlichen Pole erscheinen mir äußerst
spannungsgeladen zu sein. Sie gilt es in den Proben herauszuarbeiten.
Ebenso gegensätzlich könnte die Gestaltung der Bühne sein:
ein leerer kalter Raum als Projektionsfläche für die Fantasien
der Frauen. Wenige signifikante Requisiten, um deren Geschichten zu erzählen.
Reduziertheit auch in der Darstellung der Nichtanwesenden. Spannung entsteht
durch die Verbindung des historischen Stoffes mit modernen Materialien; eine ästhetische
Umsetzung der Gegensätzlichkeit des Inhalts. Spannung entsteht auch
durch die reale Situation des Wartens, die immer wieder mit dem Verlust
einer Zeitwahrnehmung gebrochen wird.
Für mich ist die Briefeschreiberin ein Stück, das durch seine
historische Dimension im Jahr 2005, im Jahr des Gedenkens, unbedingt auf
die Bühne gebracht werden muss. Es ist aber trotzdem kein historisches
Stück. Das Schicksal der Frauen in ihrem Widerspruch zwischen alltäglichem
Handeln, zwischen Lebensbewältigung und innerlicher Lebensblockade,
scheint mir gerade heute, zu einer Zeit, in der Frauenemanzipation sich in
erschreckender Weise in reaktiven Rückzug zu alten Werten verwandelt,
sehr aktuell und in diesem Sinn äußerst modern zu sein. Auch dieser
Aspekt soll in der Inszenierung seine Umsetzung finden.
Angelika Messner-Haltmeyer
Regisseurin der geplanten Deutschsprachigen
Erstaufführung 2006
Stücke Peter Wagner
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