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Burgenland.
Eine Farce
von Peter Wagner
Uraufführung: 12. September 1991, Theater Am Ort im Offenen
Haus Oberwart (OHO)
Mit Georg Kusztrich, Sonja Penz, Josko Vlasich und Hans Rosner.
Masken: Elisabeth Preindl; Kostüme: Helga Schmidt; Licht: Gerhard
Duffek; Produktionsassistenz: Brigitte Leimstättner; Regieassistenz,
Einrichtung: Hans Panner; Bauten: Leo Bauer; Produktionsleitung:
Horst Horvath
Bühne und Regie: Peter Wagner

Oberwart – Am Donnerstag, dem 12. September, hatte das Stück
des burgenländischen Autors Peter Wagner „Burgenland.
Eine Farce“ – eine Collage in 11 Bildern – Premiere.
Diese szenischen Stellungnahmen Peter Wagners zur 70-jährigen
Geschichte des Burgenlandes, des jüngsten Bundeslandes Österreichs,
haben das Offene Haus Oberwart (OHO) endlich in ganz Österreich
bekannt gemacht. Peter Wagner steht in dem Ruf, ein beißender
und zynischer Kritiker zu sein. Diese Farce stellt zweifellos den
Höhepunkt seines bisherigen Schaffens dar: In scharfer und zugleich überaus
mutiger Weise rechnet er mit allem ab, was ihm an diesem Land nicht
gefällt.
Die Hauptfigur des Stückes ist der Enkel (Gegi Kusztrich):
Er kennt seine Wurzeln nur aus den Erzählungen seiner Großmutter,
einer ausgewanderten Kroatin. Von ihr hat er all die schönen
und melancholischen Lieder gelernt, die er zwar nicht versteht, die
sich seinem herzen aber tief eingeprägt haben. Wagners Reigen
reicht vom „Purbacher Türken“, der am Tisch der
Zivilisation zu kräftig zugelangt hat, und der vom Vater bei
lebendigem Leib auf der Burg eingemauerten Weißen Frau bis
zu den armen Soldaten, die nicht wissen, auf welcher Seite sie die
Grenze schützen sollen, und dem typischen burgenländischen
Pendlerschicksal der Maurer und „Kinetngrober“. Das „Strip-Schnapsen“ des
Kroaten und des Ungarn mit der deutschen Hure darf selbstverständlich
auch nicht fehlen. Es endet im Selbstmord der beiden Männer – was
sich angesichts von Wagner Sarkasmus als Mord der „deutschen
Hure“ an den Minderheiten im Land interpretieren ließe.
In dieser Szene tritt auch der Zigeuner auf. Ihm hat Wagner die Rolle
des potenten Liebhabers zugedacht, der sich „tief“ in
die Hure hineinversetzen kann; dennoch bleibt Adolf das Objekt ihrer
Begierde. Überaus makaber ist der Kirtag mit dem Bad in Menschenblut.
Im vorletzten Bild „Sekretäre“ wird hart abgerechnet
mit dem früheren „Fürsten“ (Theodor Kery, Anm.),
dem Raser auf der Kawasaki, und noch härter fällt die Kritik
an seinen Nachfolgern beider Couleurs aus,die wie ausgehungerte Hunde
die Knochen, sprich die Ressorts, untereinander aufteilen.
Die kroatischen Lieder (Georg Kusztrich, der sich auf der Geige
selbst begleitet) ziehen sich als melancholischer und sentimentaler
Faden durch alle Bilder. Angemerkt seien auch das hervorragende Bühnenbild
und die außergewöhnliche Idee, die Bühne mit Hilfe
von Wasserleitungs- bw. Kanalisationsrohren in jeder Szene zu verändern.
Darüber hinaus hatte die Regie einige ausgefallene Ideen, zum
Beispiel das Neonbett des im Sterben liegenden Fürsten und die
Szene im Bad. Ein besonderer Applaus gebührt den vier Schauspielern,
die mit ihrer hervorragenden darstellerischen Leistung im Publikum
von tiefster Erschütterung bis zu herzlichem Lachen alle Saiten
zum Klingen zu bringen vermochten. Dass einige Szenen dennoch übermäßig
plakativ wirkten, kann das Erlebnis dieser im doppelten Sinn Wagner´schen
Vorstellung nicht mindern, hatte sie doch auch die Länger einer
(Richard) Wagner-Oper.
Peter Tyrann (Übersetzung aus dem Kroatischen), HRVATSKE
NOVINE

Peter Wagner (O-Ton): Das wunderbare an der Farce ist, dass man
sie in die Absurdität versteigern kann und dann dort Möglichkeiten
findet, Geschichte und Gegenwart zu einem einzigen größeren
Motiv zusammenzufassen.
Weißes Mädchen (O-Ton): Ich wurde vor vielen Hundert
Jahren im Verließ einer Burg lebend eingemauert. Du glaubst
mir nicht?
Der Naive Enkel (O-Ton): Wie kann man so etwas tun, jemand lebend
einzumauern?
Dorothe Frank: Der Enkel zieht aus, um die Welt in den Liedern der
Großmutter zu entdecken. Prompt begegnet er dem Weißen
Mädchen, das später wechselweise in diverse Frauengestalten
der Legende schlüpft, jener Erszebeth von Lockenhaus etwa, die
im Blut der von ihr zu Tode gequälten jungen Frauen badete.
Die Beziehungsgeschichte zwischen Mädchen und Enkel bildet den
Rahmen: Ihre Liebe darf sich nicht erfüllen, denn sonst würde
das Gespenst zur Ruhe kommen, also verschwinden. So wird es zum Schluss
eine durchschnittliche Ehe. Auch wenn es von Satirik und aktuellen
Seitenhieben nur so wimmelt, hatte Peter Wagner nicht einfach eine
Bestandsaufnahme des Burgenlandes im Sinn.
Peter Wagner (O-Ton): Im Gegenteil. Ich wollte den Ortsbegriff Burgenland
in Frage stellen. Denn vieles könnte in Kärnten passiert
sein oder kann auch in Wien passieren. Burgenland ist bloß die
Beschreibung eines Zustandes, der auf diesem Stück, so wie es
jetzt ist, als Überbegriff liegt. Ich habe das für mich
einmal so formuliert, dass „Burgenland. Eine Farce“ der
Versuch ist, in der eigenen Lächerlichkeit eine Wahrheit zu
finden, mit der es sich leben lässt. Es ist das Triviale, das
Banale genauso wie das Poetische, und das oft sehr eng nebeneinander.
Das ist für mich das, was ich als Lächerlichkeit bezeichnen
möchte, denn ich definiere den Begriff „lächerlich“ überhaupt
nicht nur negativ. Sondern er lässt eine Sichtweise offen, die
wir Burgenländer uns offenbar mehr angeeignet haben als viele
andere.
Dorothe Frank: Erste Szene: Wald. Der Bühnenraum an der Längsseite
des Saals ist mit schwarzer Plastikfolie ausgekleidet. Ineinandergesteckte
Kunststoffwasserröhren stellen Bäume vor, ein poetischer
Beginn. Niemandsland, ein schwebendes Empfinden, am Ende der Welt
zu sein – Teil pannonischen Lebensgefühls. Doch ein Gutteil
des Stücks ist Groteske. Die Funktionsweise der Szenen ergibt
sich daraus, dass die Figuren meistens mehrdeutig, nicht mit Bestimmtheit
definierbar sind, oft historische Personen, gegenwärtige Typen
und Allegorien zugleich bedeuten. Im Reden und Handeln ergibt sich
aus spielerischer Kombination von Elementen des Alltäglichen
ein Muster des Absurden, das die Handschrift der Farce ausmacht.
Allerdings kennt man nach dreieinhalb Stunden dieses Muster schon
etwas zu gut. Außerdem kippen manche Sequenzen, obwohl sprachlich
virtuos oder zumindest witzig, doch ins plakativ Gesellschaftskritische
ab.
Das etwas inhomogene dramatische Gebilde lebt in hohem Maße
von seiner großartigen Realisation. Eine hochprofessionelle
engagierte Leistung von Sonja Penz, Hans Rosner, Georg Kusztrich
und Josko Vlasich in der Regie des Autors. Durch seinen Inszenierungsstil
hat Peter Wagner trotz aller Einwände immerhin etwas Eigenständiges
und Bodenständiges geschaffen.
Dorothe Frank, ORF-Radio IM RAMPENLICHT

Manche Kritiker kamen nicht umhin, die Länge des Stückes
(fast 4 Stunden) mit bösen Blicken zu beäugen, aber die
können einem fast leid tun. Die Zeit stand still, oder sie verging
zu schnell oder zu langsam, wie auch immer. Die Konzeption der Bühne,
die Nähe des Zusehers, die „Pausenmusik“ des Astor
Piazzolla und die Geige, der Gesang des Enkels aus Amerika, das macht
aus dem Saal im OHO eine Einheit. Der Zuseher konnte seine eigene
Körperlichkeit beim Betrachten einbringen, lauthalses Auflachen,
seufzen und betroffenes Verstummen. Die eigene Phantasie so angeregt, „dass
man am liebsten mitspielen, mitreden hätte wollen“, so
eine Stimme unmittelbar nach der Vorstellung.
Peter Wagner und sein Team haben dem Burgenland ein lebendiges,
gegenwärtiges und fließendes Denkmal gesetzt. „35
Jahre meines Lebens habe ich bei der Entstehung dieses Stückes
vor mir gesehen und ich habe zugegriffen. Und dann haben wir ein
hartes Stück Arbeit geliefert.“ Und ein wunderbares Theater.
Seit seinem „angeblichen Durchbruch mit dem Stück ´Lafnitz´,
was immer das sei“ wird sich auch die „Burgenland-Farce“ in
die Kategorie Durchbruch einordnen. Was immer das sein mag. Peter
Wagner wird ein Poet der Unterwelt bleiben, jener, die durch einen
Fluss namens Styx getrennt, mit dem Begriff des Unterbewusstseins
gleichgesetzt werden kann und muss. Wagner übersteigt Grenzen,
blickt hindurch durch die Ketten des Ego, widmet sich dem Traum und
der bedingungslosen Suche nach sich selbst. Das Theater ist seine
Sprache: „Schreiben zeichnet das Leben – inszenieren
begreift es. Ich habe noch vieles zu begreifen.“
Thomas Vlassits, GESCHRIEBENSTEIN

Stücke Peter Wagner
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