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Gespräch zwischen Peter Wagner und Eduard Erne über den
Film „Totschweigen“
Das Gespräch entstand anlässlich der Uraufführung
des Filmes „Totschweigen“ von Margareta Heinrich und
Eduard Erne in Rechnitz.
Peter Wagners eigene Auseinandersetzung mit
dem Massenmord an jüdischen
Zwangsarbeitern siehe Stücke „März. Der 24.“
Beschreibung des Filmverleihs:
Rechnitz ist ein kleiner Ort im Burgenland, direkt an der ungarischen
Grenze. Im Sommer 1990, ein halbes nach dem Fall der Berliner Mauer
und des Eisernen Vorhangs, begann die Arbeit an dem Film "TOTSCHWEIGEN",
sie sollte sich über fast vier Jahre erstrecken. Was als Dokumentarfilmprojekt
begann, änderte sich im Verlauf der ersten Drehphase im November
1990. Die Filmemacher traten aus ihrer Rolle der voyeuristischen
Betrachtung der Suche nach dem Rechnitzer Massengrab. Sie beteiligten
sich an der Suche, an der Recherche, in Zusammenarbeit mit der
Israelitischen Kultusgemeinde Wiens.
Erst in der Phase des Schnitts kehrten sie zurück in die Rolle
des Betrachters, des Dokumentaristen, und erzählen in dem Film
die Geschichte dieser Suche.
Zehn Tage, bevor die Rote Armee Rechnitz eroberte, wurden am Ortsrand
180 jüdische Zwangsarbeiter erschossen. Nach dem Massengrab,
in dem die Opfer jener Nacht verscharrt wurden, sucht die Israelitische
Kultusgemeinde seit Jahren. Die Opfer sollen exhumiert und nach jüdischen
Ritus bestattet werden. Initiator dieser Suche ist Isidor Sandorffy.
Sein Motiv ist ein religiöses. Und - er vermutet, dass Freunde,
Bekannte oder Verwandte in diesem Massengrab verscharrt sein könnten.
Isidor Sandorffy hat an vielen Orten im Burgenland Opfer der Zwangsarbeit,
die beim Bau des Südostwalls ums Leben gekommen sind, gefunden
und exhumiert. Meistens durch Hinweise der dortigen Bevölkerung.
In Rechnitz stößt er auf hartnäckiges Schweigen.
Nicht über die Tat als solches, aber über den Ort des Massengrabes
sind keine Hinweise zu erhalten. Dennoch wird gesucht und gegraben,
die Erde aufgewühlt, wo längst Gras über die Geschehnisse
gewachsen ist.
Der Film begleitet die Suche, erzählt von dieser Vergegenwärtigung
von Vergangenheit. Er beschreibt das Verhältnis der Rechnitzer
Einwohner zu den Ereignissen damals vor 50 Jahren, erzählt
von ihren Erinnerungen und zeigt die Reaktionen auf die Suche heute.
Er beleuchtet den historischen Hintergrund, erzählt von den
Opfern, den Hinterbliebenen und Überlebenden. Und er handelt
vom Verschwinden von Vergangenheit, vom Umgang und der Konfrontation
mit eigener Geschichte heute.
EIN GESPRÄCH ZWISCHEN PETER WAGNER UND EDUARD ERNE
ÜBER DEN FILM "TOTSCHWEIGEN"
PW: Margareta Heinrich und Du, Ihr habt den Film "Totschweigen" genannt.
Nun sieht man also tatsächlich Fenster, die zugehen auf direkt
gestellte Fragen hin. Man sieht und hört Frauen, die von allem
nichts gewusst haben wollen, obwohl die Suggestivität des gesamten
Filmes uns das Gegenteil bedeutet. Man lässt sich beinahe ängstlich
berühren von der Aggressivität eines Mannes, der die Geschichte
endlich begraben wissen will und dabei - selbst angstbesetzt - vor
der Kamera sogar den Mutigen spielt und gegen die fragenden Eindringlinge
aufbegehrt. Aber man sieht auch Menschen, die angesichts der Erinnerung
an die Schüsse und Schreie in der Nacht in Tränen ausbrechen.
Man erlebt eine Köchin, die beinahe redselig wirkt, und einen
Gärtner, der beim Umtopfen von Blumen durchaus nichts dagegen
hätte, würde nur endlich auch die Wahrheit sprießen;
man folgt fassungslos zwei Menschen, die beim Mittagessen im Altersheim über
den Massenmord reden, als wäre er eine Zutat zum Menü -
und doch: sie sprechen. Ja man hat gelegentlich das Gefühl,
als sehnten sich viele danach, ihr individuelles wie kollektives
Gewissen zu erleichtern. Dennoch habt ihr den Film "Totschweigen" genannt.
EE: Natürlich hat dieser Titel etwas provokantes. Aber die
Frage, die sich durch den ganzen Film zieht, ist doch : "Wo
ist dieses Massengrab?" - eine Frage, die sich auf heute, auf
jetzt bezieht, und darauf gab es keine Antwort. Der Film ist nur
ein Ausschnitt der Realität, die wir in dieser Zeit in Rechnitz
erlebt haben. Wir wollten, dass die Menschen erzählen und sich
erinnern. Das heißt, es kommen im Film die Leute vor, die reden.
Die vielen, die abgewehrt haben, die nicht reden wollten, die tauchen
im Film ja kaum auf. Aber unsere Recherche war sehr von Erlebnissen
des Schweigens und der Abwehr geprägt. Da wurde die Polizei
angerufen, da wurden wir hinausgeschmissen, da wurden immer wieder
einfache Fragen mit Beschuldigungen verwechselt. Das alles ist nur
zum Teil in den Film eingeflossen. Und noch was anderes: Es gibt
Leute in dem Film, die schweigen, die lügen, die abwehren, das
Fenster schließen, aber die meisten reden. Man kann auch mit
sehr vielen Worten schweigen, indem man die Frage, die immer wieder
gestellt wurde, nicht beantwortet, ausweicht und dabei sehr viel
redet. Das ist ein Phänomen, das nicht auf Rechnitz begrenzt
ist, das gibt es überall, wenn von dieser Zeit die Rede ist.
Man erzählt vom eigenen Schicksal, macht sich selbst zum Opfer,
was teilweise sogar stimmen mag, aber trotzdem weicht man der Frage,
nämlich der Frage, was damals mit den Jüdischen Zwangsarbeitern
geschehen ist, und wo sich das Massengrab befindet, aus. Das ist
ein geschwätziges Schweigen. Dabei wird die Tatsache ja nicht
geleugnet. Alle sagen, ja, das ist passiert. Zum Teil werden fast
mythische Geschichten dabei erfunden, nur um der Frage auszuweichen.
Was mir in Rechnitz alles erzählt wurde, oftmals im Glauben,
ich wäre sowieso auf der "richtigen" Seite (einmal
hat mir ganz offen ein Rechnitzer gesagt, jemandem von der anderen
Seite würde er das alles nicht erzählen. Und auf meine
Nachfrage, wer denn die andere Seite sei, sagte er: "Na, die
jüdische."), das war zum Teil abenteuerlich. Da wurde behauptet,
die Gräfin Batthany hätte auf einem Schimmel reitend in
die Menge der Zwangsarbeiter geschossen, da werden alte Feindschaften
aufgewärmt, die Evangelischen wären alle Nazis gewesen,
und der katholische Ex-Bürgermeister Oswald sagte wörtlich
zu mir, als er noch nicht wusste, warum ich in Rechnitz bin: "Das
ist gottgewollt, daß das Grab nicht gefunden wird," eine
Wirtin im Nachbarort meinte: "Ned die Knochen, das Gold von
den Juden solltet ihr suchen" usw. Und dabei reden sie, sie
reden auch über das Phänomen des Schweigens im Ort, immer
wieder ganz offen von der Angst, die umgeht. Natürlich gibt's
das Massengrab, und irgendwo wird's schon sein. Was ich sagen will,
ist, dass das Schweigen inzwischen kultiviert, fast stilisiert wird.
Mit vielen Worten. Ein äußerst zynischer Vorgang. Der
Besitzer eines Caféhauses sagt auch im Film ganz offen: "Die
Juden haben eine Klagemauer, und wir haben eine Schweigemauer." Das
ist schon so im Blut, dass die Leute darüber nur noch lachen
- sie sind jetzt halt die Schweiger, so wie andere sagen, sie wären
Rapidler. - Ich glaube, dass dieses Phänomen, diese nächste
Verdrängungsstufe, ganz viel mit der ganzen Waldheim-Diskussion
zu tun hat. Man kann und konnte sich wieder gewisse Dinge trauen,
man konnte den Jewish World Congress eine Gangsterbande nennen, man
konnte durch Lügen Bundespräsident werden, und das mit
großer Mehrheit. - Natürlich gibt der Titel des Films
noch ein anderes Signal: nämlich das Wort Tod. Nicht nur Schweigen,
sondern Totschweigen. Denn worüber geschwiegen wird, das ist
ein Ort des Todes, ein Massengrab. Und wenn man diese Mühsal
der Suche sieht, dieses unendliche Graben, und versteht, warum diese
Suche stattfindet, nämlich einzig und allein aus einer religiösen
Verpflichtung heraus, und dann immer wieder sieht, wie diesen Erschossenen
so etwas einfaches wie ein Begräbnis in der Tradition ihrer
Religion, ein Ort des Gedenkens, ein Stein verwehrt wird, dann ist
das fast wie ein zweiter Tod. Diese Verweigerung beinhaltet auch
ein großes Stück von heutigem Antisemitismus. Ich möchte
gar nicht wissen, wie viele sich denken, dass sind ja eh nur Juden.
Wenn es ein Massengrab mit Soldaten oder SS-lern wäre, hätte
man es schon längst gefunden. Und es ist auch eine Metapher
für den gesamtösterreichischen Umgang mit dieser Vergangenheit.
Da war was, das war nicht schön, aber was geht uns das heute
an. Und so konkret wie es bei diesem Massengrab werden könnte,
dass da die Vergangenheit buchstäblich ans Tageslicht geholt
wird, das wird abgewehrt. Und das ist ja auch ein unglaublicher Vorgang,
dass die Vergangenheit konkret werden könnte, dass die Toten
zurückkehren, und man alles nicht mehr so leicht abtun kann.
Und jetzt gehe ich noch einen Schritt weiter. Sogar bei Leuten, die "das
richtige" denken, die - was weiß ich - aufrechte Antifaschisten
sind, ist diese Suche oft auf Unverständnis gestoßen.
Aber es geht bei dieser Suche nicht um den Nachweis, um den Beweis,
dass diese Erschießungen überhaupt stattgefunden haben.
Es geht einfach darum, diese Menschen ordentlich zu begraben, so
wie sie es sich vielleicht selbst gewünscht hätten. Und
es ist so einfach, zu sagen: "6 Millionen sind umgebracht worden,
das ist schrecklich". Das zu sagen ist zu wenig. Es geht um
einen nächsten Schritt. Nämlich zu überlegen, was
waren das für Menschen, was für eine Kultur, was für
eine Religion, und was bedeutet Tod und Begraben-werden in dieser
Religion. Es geht um die Schlussfolgerung daraus. Um mehr als nur
zu sagen: "Das war alles schrecklich." Sicher ist der Titel
des Films davon stärker beeinflusst. Margareta und ich hatten
einmal die Idee, den Film "An der Grenze zum Vergessen" zu
nennen. Denn das ist bei manchen doch spürbar, dass sie erzählen
wollen, etwas los werden wollen, bevor diese Erinnerungen verloren
gehen. Bei der Frau, die so weint, ist das der Fall. Das hat sie
mir auch selber gesagt, dass sie froh darüber ist, das zu erzählen,
für den Film, damit es nicht verloren geht. Heute könnte
sie es nicht mehr erzählen, denn sie lebt nicht mehr. Ich denke,
dass sie den Konflikt, oder das Dilemma, auch wirklich auf den Punkt
bringt, indem sie weint, ehrlich, und dabei beschreibt, wie sie sich
die Ohren zugehalten hat, damit sie die Schreie, die Todesschreie
nicht mehr hören muss. In dieser Sequenz, in der Widersprüchlichkeit
dieses Vorgangs, trifft der Film (oder eigentlich ist es sie, wie
sie das erzählt, nicht der Film) genau auf den Punkt: Sie weint über
das, was damals geschehen ist. Oder weint sie über die Tatsache,
dass sie sich die Ohren zugehalten hat, dass sie es nicht hören
muss. Sie trauert heute und erzählt, wie sie damals die Fensterläden
zugemacht hat. Sie hat es nicht verwunden.
PW: Am Anfang des Filmes wird der für mich wesentliche Rahmen
festgelegt: Rechnitz, der historische wie geographische Grenzort,
glich hinter dem Zaun des Nachbarn beginnt Asien. Dass es dem
Film gelingt, über den Reichtum an Schuld, über den Rechnitz
verfügt - ich formuliere das bewusst provokant! -, über
den Kreuzstadel als überregionales Markenzeichen des Ortes,
diesen zugleich auch zu einem metaphysischen Grenzort zu machen,
das ist für mich das Thema. Denn in der Tatsache, dass Menschen
aus Schuld und Angst schweigen, fände ich noch keine sehr aufregende
Erkenntnis. Das ist wohl eher das Normale, und das Normale hat
nach dem Krieg im Verdrängen und Vergessen bestanden. Der Film
hat einen traurigen, einen wehmütigen, ja einen melancholischen
Grundzug, der mir zum Erlebnis geraten ist: die Fremde und das Fremdsein
hat auf Euch Filmemacher übergegriffen, Ihr seid als Fremdlinge
eingedrungen - Ihr habt es zumindest versucht - , und seid als Fremde
wieder abgezogen, auch wenn Du, wie ich gehört habe, Rechnitz
immer wieder aufgesucht hast und dort gewiss auch ein bekanntes,
vielleicht sogar vertrautes Gesicht geworden bist. Was mich jedenfalls
davon überzeugt, dass es Dir nicht um einen schnellen Voyeurismus
gegangen ist, auch nicht um eine journalistische Ausbeutung, die
für mich eine moderne Form des Raubzuges darstellt.
EE: Das ist ein ganz wesentlicher Punkt, den Du ansprichst. Das
war nicht immer so. Aber der Film hat seine eigene Geschichte. Als
wir angefangen haben, wussten wir nicht sehr viel. Da war der Voyeurismus
der Filmemacher. Da wird ein Massengrab gesucht, wie reagiert ein
Ort darauf. Wenn exhumiert wird, wenn die Bestattung auf dem Jüdischen
Friedhof geschieht. Mich hat auch dieser Vorgang interessiert, wenn
wirklich die Gebeine gefunden werden - also alles sehr oberflächlich.
Und als wir auf diesem Acker beim Kreuzstadel standen und klar war,
dass diese Grube nicht das Massengrab ist, da ist etwas passiert.
Da haben wir erst kapiert, was hinter diesem Vorgang steht. Und viel
viel später - als ich mit Margareta darüber gesprochen
habe, wie wir das drehen wollen, falls die Gebeine, die Leichen gefunden
werden - war es klar, dass dies nur aus einer großen Distanz,
mit Respekt geschehen kann. Wir wollten es nicht mehr zeigen. Wir
wollten die Metapher des Grabens, und wir wollten, dass es gefunden
wird. Das war am Anfang nicht so. Dazwischen hat sich der Film anders
entwickelt. Das hat mit drei Dingen zu tun. Einmal haben wir damals
im November 90 kapiert, wie sehr Isidor Sandorffy, der als Suchender
im Mittelpunkt steht, dieses Massengrab finden will. Das hat so viel
für ihn bedeutet, er hat immer gesagt, er stirbt erst dann,
wenn er es gefunden hat. Und besonders zwischen Margareta und ihm
hat sich eine Freundschaft entwickelt. Das zweite war, dass wir als
Filmemacher aus unserer Betrachterrolle ausgestiegen sind, und uns
aktiv an der Suche beteiligt haben. Über drei Jahre lang haben
wir recherchiert und gemeinsam mit der Israelitischen Kultusgemeinde
versucht, den Ort ausfindig zu machen und das Grab zu finden. Manches
davon ist natürlich auch in den Film eingeflossen, aber nur
zu einem geringen Teil. Das heißt, es gab keinen reißerischen
Zugang zu diesem Thema mehr. Die Suche war auch unsere Suche geworden.
Und das dritte, und ich glaube, dass das auch aus dem anderen resultiert
ist, wir wollten verstehen, was damals passiert ist, und warum sich
der Ort Rechnitz, die Menschen heute so verhalten. Ich hab da auch
viel erfahren und gelernt. Das kann man aber nur, wenn man nicht
einfach den Stab über etwas bricht. Wenn ich daran denke, wie
viel Filmmaterial wir in den Interviews verwendet haben, wie sehr
wir mit den Leuten auch über den Krieg, die Russen, die Zeit
vor 1938 geredet haben. Es wäre ja so leicht, Rechnitz einfach
ins braune Eck zu stellen. Mit dem Altnazi Portschy, der dort lebt,
und dann ist eh schon alles klar. Dieser Film hat es uns verboten.
Wir wollten es auch nie akzeptieren, dass die Ursache des Schweigens
ein Altnazi ist, das wäre zu billig. Da muss noch was anderes
sein. Diese Angst, von der dauernd die Rede ist. Die Angst vor den
Leuten, die in die Mordaktion verwickelt waren und vielleicht heute
noch leben, und die andere Angst, die viel unbewusster vorhanden
ist. Dass die Vergangenheit zurückkehrt und sich gegen sie wendet.
Dazu kommt, daß wir beide gespürt haben, dass dieser Film
wahrscheinlich die letzte Chance für uns ist, über diese
Zeit etwas zu erfahren. Für Margareta sicher noch mehr, denn
sie kommt ja aus dem Burgenland. Wir haben gespürt, dieser Film,
dieses Thema ist eine Chance für uns, noch etwas zu erfahren über
diesen Wahnsinn, der damals passiert ist, und zwar von Leuten, die
das erlebt haben, und mit einem Bezug, der in unsere Gegenwart reicht.
Heute könnten wir den Film nicht mehr beginnen. Und irgendwo
hab ich auch die Grenze gespürt, wie weit die Vorstellung reicht,
das verstehen Wollen. Ich hör noch immer die Frau, die weint,
wie sie auf meine Frage: "Können sie diese Nacht beschreiben?" sagt: "Das
kann man nicht beschreiben, das muss man erleben."
PW: Der Film ist unzweifelhaft poetisch, und er ist - das unterstelle
ich - von Euch auch bewusst so angelegt. Dutzende Male fällt
der Blick quasi von den Wolken herunter auf den Kreuzstadel, der
sein Gesicht mit den Jahreszeiten wechselt und doch immer wieder
dieses auch im metaphysischen und religiösen Sinne uns bedrängende
Kreuz bleibt, das uns umso mehr bedrängt, je weniger es möglicherweise
von uns will. Denn es ist und bleibt sein Schicksal, dass es uns
sein Geheimnis nie wirklich und vollends preisgeben darf. Durch die
Bilder zieht sich ein malerischer Grundtenor, stark leuchtende
Farben wechseln mit zartem Pastell, immer wieder Erde, Erde in jeder
Form, auch in der letzten Bestimmung des Menschen. Die Wehmut vergehender
Jahreszeiten und vergehenden Lebens begleitet den Traktor, der von
rechts nach links hinter dem Kreuzstadel seine Furche durch das abgeerntete
Stoppelfeld zieht, ja durch die Baggerschaufel, die in die anscheinend
so schlüssig in sich ruhende Erde hineingreift, als täte
sie etwas Verbotenes. Selbst dieses gewaltige Werkzeug erscheint
als ästhetisches Element, das keinen lauten Aufschrei verursacht,
wenn auf dem Greifarm des Baggers plötzlich die Firmenaufschrift "Mengele" durchs
Bild wandert, sondern einen präzisen, inneren, den Zuseher selbst
beschämenden Schmerz, den nur die Poesie zu erzeugen imstande
ist. Woran liegt es, dass uns die Poesie so viel mehr über die
menschliche Barbarei erzählt als die vermeintlich knallharte
Aufdeckungsarbeit?
EE: Schwierig. Es gibt in diesem Film, in dieser Geschichte Dinge
und Bilder, die könnte man ja gar nicht inszenieren. Dass der
Bagger, der nach dem Massengrab sucht ausgerechnet ein Mengele-Bagger
ist, dass ist ja unglaublich. Diese Grenze, die neuen Fremden im
Ort, die Flüchtlinge, die getrennten Friedhöfe, das sind
alles einzelne Elemente, die merkwürdig aufeinander wirken.
Das hat nichts mit Aufdeckungsarbeit zu tun, sondern mit Beobachtung.
Und ich denke, es muss so etwas wie eine Wahrheit geben, die nicht
in Facts liegt, sondern im Dazwischen. Im Ausschnitt, im Fragment.
in der Andeutung. Wenn man etwas ausspricht, verliert es sein Geheimnis.
Das ist in der Sprache so, das ist in Bildern so. Ich hoffe, dass
dieser Film beides tut. Dass er einerseits Facts erzählt und
dieses Dazwischen. Die Menschen, die in diesem Film sich erinnern,
lassen ja auch einen Raum offen mit dem, was sie sagen. Den Raum,
den man mit seinen eigenen Bildern dann füllen kann. Das hat
mich an der Sprache der Rechnitzer auch immer fasziniert. Natürlich
ist das auch oft entlarvend, wenn zum Beispiel eine Frau sagen will: "...den
Menschen", sich aber bei der Silbe "Men-" unterbricht,
und sich korrigiert, indem sie sagt: "...den Juden." Aber
das ist was anderes, da ist es offensichtlich, was aus ihr spricht.
Als ich das erste Mal nach Rechnitz fuhr, wusste ich, was dort passiert
war, also die Facts, und ich hatte das Bedürfnis, die Orte zu
sehen. Und da spielt sich im Kopf was anderes ab, wenn ich den Hauptplatz,
den Bahnhof, den Kreuzstadel sehe und gleichzeitig weiß, was
dort passiert ist. Es sind dieselben Orte, aber sie sind nicht dieselben.
Es ist Zeit vergangen. Und trotzdem erzählen sie etwas von ihrer
Vergangenheit. Natürlich ist die Kreuzform dieser Kreuzstadel-Ruine
unglaublich symbolisch. Man glaubt es ja kaum, wenn man das sieht.
Das ist fast schon zu viel - das Kreuz und der Mord an den Juden.
Es wäre sicher falsch, wenn wir mit Bildern die Geschichte
illustrieren würden. Wir haben den Film fast 50 Jahre später
gedreht und nicht damals. Und das Grauen lässt sich nicht einfach
bebildern. Über diese Frage gab es auch Konflikte zwischen Margareta
und mir. Schlussendlich ist es eine Gratwanderung. Ich mussß auch
dem Kameramann Hermann Dunzendorfer ein riesiges Kompliment für
seinen Zugang zu der Geschichte und zu diesem Ort machen. Er hat
auf die Stimmung, auf die Zeitlosigkeit, auf Vergänglichkeit
reagiert, in Bilder umgesetzt. Ich glaube auch, dass man mit Facts
eine Geschichte erschlagen kann. Im Grunde ist es ja unvorstellbar
heute, trotz aller Tatsachen, trotz aller historischen Bewertung,
trotz allem, was man weiß. Es bleibt ein Rest, den man nie
verstehen wird, und trotzdem muss man es versuchen. Da wird ein Fest
gefeiert, und dann geht man weg von dem Fest, erschießt 180
Menschen, und geht wieder zurück um weiterzufeiern. Das ist äußerlich
beschreibbar. Durch die Erinnerungen der Menschen, so genau wie möglich.
Aber ob man es dann versteht? Man kann sich nur immer mehr annähern
und Räume schaffen, in denen die Erinnerungen weiter klingen.
Auch wenn man das Dilemma dabei nicht löst. Diese Zwischenräume
haben etwas Poetisches an sich. Man kann diese Poesie aber nicht
erzeugen, mit Absicht und Kunst.
PW: Noch eine Frage zu der Zusammenarbeit zwischen Dir und Margareta
Heinrich. Oder anders formuliert: kannst Du etwas über das weibliche
und das männliche Element dieses Filmes erzählen, das ich
selbst sehr stark empfunden habe - nämlich ausnahmsweise
als ein identisches.
EE: Das ist die schwierigste Frage. Weil sie natürlich überschattet
ist von Margaretas Tod. Und weil wir diese Frage nur gemeinsam
beantworten könnten. Aber das geht nicht mehr, was mich aus
sehr bedrückt. Ich kann über das weibliche und das männliche
Element dieses Filmes nichts sagen. Ich weiß, das wir sehr
verschiedene Herangehensweisen hatten. Wir haben auch zum Teil getrennt
gearbeitet, getrennt recherchiert, auch gedreht, es gab aber immer
einen Grundkonsens. Bei der Auswertung der Interviews zum Beispiel
kamen wir immer auf dieselben Stellen, die wir wichtig fanden. In
der letzten Phase, im Schnitt, haben wir eigentlich fast immer gemeinsam
gearbeitet. Da gab es auch Konflikte. Natürlich kann man jetzt
sagen, die weibliche Seite, das Gefühl, die männliche
Seite die Facts, aber das ist doch zu einfach. Was ich sicher
weiß, ist, dass es sehr gut war, wenn wir gemeinsam, beide
mit Leuten gesprochen, also ein Interview gedreht haben. Das war
ein Wechselspiel und ein schönes Gefühl, dass der andere
da war, und wir uns ablösten und abwechselten. Margareta hat
den Film so fertig, wie er jetzt vorliegt, nicht mehr gesehen. Das
ist schrecklich und belastet mich sehr. Weil ich weiß, dass
wir dann geredet hätten über vieles, und dieses Gespräch
wird nie mehr sein. Mehr kann ich dazu nicht sagen. Sie fehlt.
Kommentare, Reden, Offene Briefe (Auswahl)
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