|
 |
 |
Steves Bass
von Peter Wagner
Ein gutes Instrument! So pflegte der Alte mit verrauchter, kantiger
Stimme und verschmitzt fachmännischem Feixen den Wert der schwarzen
Bassgitarre zu beurteilen, mit der Steve auf sämtlichen Wirtshausbühnen
des südlichen Burgenlandes schon gestanden war. Sein Alter war
immerhin der große Purdi, was zu deutsch heißt:
kleiner Zigeunerjunge. Und Purdi musste es wissen, war er doch der
unumstrittene, wenngleich auch selbst ernannte Weltmeister auf seinem
Cymbal, ein Musikant von Herrgotts launigen Gnaden. Denn stand sein
Cymbal in den Weltmeisterzeiten der Fünfziger- und Sechzigerjahre
auch außer Frage, so verhinderte es nicht, dass gerade Purdi
in seinen späteren Jahren zum Abziehbild des dreckigen Zigeuners
(der doch in Wirklichkeit so reinlich war!) avancierte: wie viele
halbwahre und ganzfalsche Anekdoten wusste man sich in Oberwart von
ihm zu erzählen, von diesem dunkelhäutigen Giftzwerg, den
man wegen der stechenden Augen und spitzen, abstehenden Ohren genauso
satanisch verklärt wie wegen seiner Gutmütigkeit in der
Nüchternheit und der infernalisch polternden Selbstgespräche
im Rausch mitleidig belächelt hatte. Schließlich versuchte
die Behörde, ihn auf Grund seiner täglichen Trinkexzesse
per Lokalverbot aus dem Verkehr gutbürgerlicher Schicklichkeit
zu ziehen. Da war er aber schon ein alter Hund geworden, dem die
Zähne ausgefallen waren.
Heute noch sehe ich des kleinen Purdis langen Schatten durch die
Straßen Oberwarts wanken. Durch jene Stadt, die nach dem Krieg
(jetzt erst recht!) mit großem Ehrgeiz und noch unziemlicherem
Erfolg zu vergessen versucht hatte, dass die Wesen mit dem schwarzen
Blick, die im Ghetto außerhalb der Stadt hausten, Menschen
waren. Auch wenn man sie Zigeuner nannte.
Und von allen Zigeunern war Purdi der Überzigeuner: wenn er
wankte, wurde der Gehsteig für ihn freigemacht: die meisten
zogen es vor, die Straßenseite zu wechseln.
Purdi war nach der Rückkehr aus dem KZ Auschwitz nicht zu den
anderen überlebenden Roma in deren Dorf außerhalb der
Stadt gezogen. Er hatte sich eingebildet, innerhalb der Oberwarter
Bevölkerung ansässig werden zu können oder zu müssen
- sei es, weil er nachgedacht hatte, sei es, weil er nicht nachgedacht
hatte. Jedenfalls brachte ihm das Sakrileg gleich doppelte Schmähung
ein: einerseits gelang es ihm nie, als Roma die Reserviertheit der
Kleinbürgersippe Oberwart zu überwinden, und ich vermute,
dass er den Versuch auch schon sehr früh aufgegeben hat; andererseits
mieden ihn die Roma aus dem Dorf als Abtrünnigen. Frau und Kinder
aus der ersten Ehe hatten ihre ethnische Identität in Auschwitz
mit dem Leben bezahlt. Und hauptsächlich Frau und Kinder der
zweiten Ehe hatten denn auch die Rechnung für den vielleicht
richtigen, aber im Grunde absurden Ehrgeiz zu begleichen, wider jegliches
Misstrauen gegenüber den vermeintlichen Peinigern und Mördern
des eigenen Volkes ein Verhältnis zu diesen herzustellen.
Der große Purdi also, der in Wirklichkeit nicht größer
war als ein Besen und auch nur unwesentlich voluminöser als
solch einer, hatte sich in dem Versuch, das KZ aus dem Gedächtnis
zu schwemmen, erfolgreich in den Suff gerettet. Dabei zertrümmerte
ihm eines Tages das schwere Cymbal bei einer Unvorsichtigkeit den
Finger und beendete seine Karriere jäh.
War er selbst nun nicht mehr in der Lage, auf der Bühne des
pannonischen Fremdenverkehrs zu den Klängen der vermeintlichen
Zigeunerfolklore das Exotenmaskottchen zu spielen, so übertrug
er im Laufe der Zeit seine Hoffnungen auf den Sohn, seinen Trost
und seine vermeintliche Rehabilitierung in einer Welt, die nach dem
Untergang der Götter zwar keine Sieger, aber auch keinen einzigen
Verlierer kannte - außer die ohnehin prädestinierten.
Steve lernte allerdings nicht das Cymbalspiel, weshalb ihn der Alte
gelegentlich schon erschlagen wollte, immerhin aber den elektrischen
Baß. Und da dieser mit dem aufkommenden Rock´n´ Roll
anscheinend doch mehr gefragt war als das Hackbrett, fand sich der
Vater schließlich damit ab. Stift, sagte er, wird noch viel
zehnmal größer aufspielen als wie ich in meinen Weltmeisterzeiten,
und nicht nur in Mörbisch und Rust, auch in Heidelberg! Und
in Johannesburg. Und in der ganzen Welt draußen.
Steve, der Stefan hieß wie der Alte, hat diese Hoffnung nicht
erfüllt. Er starb nur ein paar Monate nach dem Vater. An Leberzirrhose.
Wir, die ihn kannten und doch keine Ahnung von ihm hatten, wussten
zwar, dass er trank: Whisky-Cola und ähnliches in der Öffentlichkeit,
Wein nur privat. Da man ihn jedoch in seinem Rausch nie wirklich
betrunken erlebt hat, ahnte man nicht, wie weit ihn das Gift schon
geküsst hatte. Sein Tod kam für einige von uns wie ein überfälliger, ätzender
Kommentar aus den Kammern unserer tiefsten Schuldgefühle: Steve
hatte uns die andere Hoffnung nur vorgegaukelt - tatsächlich
vollzog sich auch an ihm die schaurig vorgefasste Prozedur der (Selbst)Zerstörung:
Lungenentzündung, Leberzirrhose, aus.
Zu schwer zu begreifen, warum einer dem Blues soviel Leben abverlangte
und sich dieses selbst so einfach nehmen ließ. Gerade er! der
seine langen Finger unendlich ruhig und doch mit einer unerklärlichen
Flinkheit über das Griffbrett gleiten ließ, als gingen
an ihnen die Gesetze der sterblichen Physik in die Irre. Er stand
da auf den Wirtshausbühnen, so unauffällig wie unerschütterlich
im Hintergrund wie jeder einzelne seiner Töne. Er war der Bass,
der trug. Er konnte noch der miesesten Provinzband durch ein ewiges
Auf und Ab so etwas wie den Flair der mentalen wie intellektuellen
Berufenheit oktroyieren: äußerlich lethargisch bis zur
Verweigerung, innerlich identisch mit Lauf und Rhythmus: ein in den
Eingeweiden spürbarer, bebender Vulkan, zugedeckt unter Zurückhaltung
und Entfernung von sich und den anderen.
Es war nicht zu begreifen, warum solch einer von irgendetwas so
fatal aus der Bahn geworfen werden konnte! Und dann gar vom Alkohol,
der schon seinen Alten in dessem letzten Lebensjahrzehnt eher konserviert
denn zerstört hatte.
Aber vielleicht kam meine Wut über diesen Tod auch daher, daß da
eben ein Baß Abschied nahm, noch ehe man die Gelegenheit erhalten
hatten, den Menschen zu erfahren, der ihm Leben gab. Denn vom Menschen
Steve wusste man eigentlich nur so viel, dass er der Bediener dieses
Basses war. Da starb der Blues, man hätte ihn festhalten mögen
- hätte man nicht allzugenau gespürt, dass er im Sinnbild
seines Todes am allerpräzisesten gelebt hatte. Jedes Zeitalter
offenbart und ironisiert sich an seinen früh gefallenen Heroen:
James Dean, Marilyn Monroe, Jim Morison, John Lennon. Stefan Horvath
jun. gehört zu ihnen, tief verborgen und unerkannt unter der
undurchdringlichen Schneedecke der Provinz.
Es waren viele da um ihn herum, die sich während und nach einem
Auftritt, wie in Dorfwirtshäusern üblich, mit der Spende
eines Getränks bei ihm anbiederten. Sicher habe auch ich zu
diesen gehört. Steve war, im Gegensatz zum Alten, nicht gesprächig.
Er hasste es zu sprechen. Und wie so oft: für jemanden, der
selbst nicht spricht, spricht die Fantasie der anderen. Er verstand
es zu faszinieren. Und gleichzeitig eine scharfe Trennlinie zwischen
sich und den wechselnden Fratzen des Rundherums herzustellen. Er
stand an der Theke, versunken in einen nur allzu genau beobachtenden
Rausch, vielleicht aber auch nur in ein zu lange fortgesetztes Nichts.
Rauchte, trank, hörte - oder hörte auch nicht. Ja, das
faszinierte, einerseits. Ich frage mich, ob er unter der unaufbrechlichen
Distanziertheit seiner Person nicht selbst am meisten litt - andererseits.
Anfänglich, sagt man, sei er nach jedem Auftritt nach Hause
gegangen und hätte dort, quasi als Frühstück schon,
in aller Einsamkeit einen Doppler geleert. Später wurde dieser
Brauch zur täglichen, rituellen Gewohnheit.
Manche meinen, es hätte die Frau in seinem Leben gefehlt.
Frauen sind verlogen und falsch, sagte er einmal, als ich ihn doch
so weit gebracht hatte. Heute weiß ich, wie gewaltig sein Rausch
wirklich war. Und wie bestürzend klein. Ins Bett geht schnell
eine mit dir, aber wenn sie dann kapieren, dass du ein Zigeuner bist
...
Ich werde, selbst betrunken, aber noch nicht betrunken genug, wahrscheinlich
geantwortet haben, dass nicht die Frauen speziell verlogen seien,
dass eine Gesellschaft, die Vorurteile nicht bekämpfe, sondern
gegen eine bestimmte Volksgruppe instrumentalisiere, Verlogenheit
bei allen Menschen kultiviere, bei Männern wie bei Frauen. Aber
das wird er, genauso wahrscheinlich, überhört haben.
Frauen sind verlogen und falsch: auch das war der Blues: selbstzerstörerisch
und brutal.
Es kann keine Rede davon sein, dass Steve das Bassspiel von jemandem
gelernt hätte. Weder der Alte noch er konnten Noten lesen. Er
hatte den Blues. Und er wandelte ihn um in eine Kraft, die ihn Nacht
für Nacht, Bühne für Bühne, Wirtshaus für
Wirtshaus aus dem Elend katapultierte - um ihn umso tiefer in dieses
hineinfallen zu lassen. Er war perfekt auf seinem Gerät. Das
Gerät war er: willenlos ausgeliefert einer Maschine, in der
er funktionierte. Und starb, um heil zu bleiben.
Man sagt, er hätte keine Proben gebraucht. Später dann
begann man ihn für die Tonstudios zu entdecken. Man schätzte
ihn seiner Unkompliziertheit und seiner Fähigkeit wegen, egal
welche Musik wortlos zu begreifen.
Da war die Leber allerdings schon zerfressen.
„Steves Bass“ ist in mehreren österreichischen
Zeitungen erschienen.
Kommentare, Reden, Offene Briefe (Auswahl)
|
 |
 |
 |
|
  |