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Rede an Oberwart
Die Rede wurde am 11. Feber 1995 nach dem Begräbnis der
vier Roma, die beim Bombenattentat von Oberwart das Leben verloren
hatten, bei einer Veranstaltung vor dem Oberwarter Kriegerdenkmal
gehalten. Weitere Redner: Nationalratspräsident Dr. Heinz
Fischer, Dr. Heide Schmidt, Willi Resetarits u.a.
Lieber Oberwarterinnen und Oberwarter,
Euch, und Euch alleine gelten heute meine Worte, egal in welcher
Anzahl Ihr Euch heute unter den hier Versammelten befindet.
Wenn die Vielen, die heute in unsere Stadt gekommen sind, um hier
nach einem Ausdruck ihrers Widerstandes gegen einen verheerenden,
heraufdämmernden Zeitgeist zu suchen, wieder abgezogen sind,
wenn die Meute der Berichterstatter, die oft genug ihr Handwerk nicht
als seriöse Mitteilung, sondern als blanke Räuberei an
der Tragödie von Menschen handhabt, wieder zur nächsten
Sensation abgesprungen sind, dann werden wir, Oberwarterinnen und
Oberwarter, wieder alleine sein mit uns und dem Unfassbaren, das
uns widerfahren ist - und das wir uns widerfahren haben lassen!
Eines muss uns klar sein: Oberwart ist seit dem vergangenen Sonntag
ein in Österreich, ein in Europa bekannter Name. Er steht für
- egal, ob wir das ablehnen oder nicht, und wahrscheinlich haben
wir selbst es noch am wenigsten erfasst - er steht für Minderheitenfeindlichkeit,
Diskriminierung, Menschenverachtung, Rassismus und Mord. Oberwart
ist das Rostock Österreichs. Mit diesem Stigma, mit dieser grausamen
Etikette werden wir leben müssen. Und nicht nur die nächsten
Wochen, nicht nur die nächsten Jahre. Sondern die nächsten
Generationen.
Man kann also von einem Schicksalsschlag für Oberwart sprechen.
Und doch dürfen wir jetzt nicht weinerlich werden. Das Geschehene
ist unumkehrbar. Jetzt stellt sich nur noch die Frage: Wie werden
wir damit umgehen? Werden wir abermals das tun, was wir so lange
getan haben und was wir so gut können: unsere Geschichte zu
verdrängen, dort wo sie uns unangenehm ist? Und am Beispiel
unserer Mitbürger, der Roma, ist sie uns am aller unangenehmsten.
Werden wir der schnellen Versuchung unterliegen, zu beteuern, wir
hätten ja doch ein friedliches Nebeneinander gelebt, und im
Grunde wäre ja doch alles in Ordnung gewesen zwischen uns und
den Roma? Oder werden wir sogar unsere Wut auf die mediale Entblößung
Oberwarts wieder an jenen auslassen, die wir ja nach wie vor als
die Schuldigen eines Dilemmas ansehen, dem wir uns selbst niemals
wirklich stellten?
Wann wenn nicht jetzt müssen wir uns eingestehen, dass unser
Zusammenleben alles andere als in Ordnung war! Wann wenn nicht jetzt
müssen wir begreifen, dass nicht die prädestinierten Opfer
die Schuldigen sind! Und wir haben kein Recht mehr, unserem eigenen
Spiegelbild auszuweichen: wir sind keine schlechteren Menschen als
andere Menschen. Wir sind aber auch keine besseren. Und wir tragen
unter der Fassade eitler Selbstgefälligkeit auch Züge des
Hasses und des Gleichmuts, als deren Beute uns seit Generationen
die Roma gedient haben.
Es ist Zeit, dass wir uns aus den bequemen Gefängnissen unserer
Selbstzufriedenheit hervorwagen. Lasst uns reden, über uns!
Und nur, wenn es uns gelingen sollte, zu einem behutsamen, von gegenseitigem
Respekt getragenen Miteinander an Stelle eines ignoranten Nebeneinanders
zu finden, wird das, was wir als Schicksalsschlag für Oberwart
erachten, unsere Chance auf ein großes menschliches Experiment
gewesen sein. Und ich bezeichne es bewusst als Experiment, obwohl
das Miteinanderleben eine Selbstverständlichkeit sein sollte,
weil es ja doch auch ein Wagnis bedeutet, nach solch einer Wahnsinnstat
nicht in Scham oder weiteren Hass zu versinken, sondern erst recht
aufeinander zuzugehen.
Und dazu gehört als erster Schritt die entschiedene Ablehnung
solch eines Verbrechens an Euren Mitbürgern, die entschiedene
Ablehnung jeder gesellschaftlichen Entwicklung, die uns erneut zu
Verfolgung und Ausrottung führt. Hören wir auf damit, in
den Wirtshäusern und Wohnzimmern uns durch dumme Sprüche
und Verharmlosungen uns zu den geistigen Komplizen der Mörder
zu machen! Beginnen wir stattdessen einen Dialog, und seien
wir darauf gefasst, dass er mitunter schmerzen wird. Wir müssen
den Schmerz der Selbsterkenntnis wollen, wir müssen es wollen,
dass vieles uns Unangenehmes, vieles Verdrängtes hochkommt.
Und nicht bloß, um einen ruinierten Ruf wiederherzustellen,
sondern um unserer selbst willen: wer zu feige ist, sich seinem seelischen
Spiegelbild zu stellen, wird niemals zu sich finden - und noch weniger
zu den anderen.
Laufen wir nicht mehr davon vor der Notwendigkeit des Dialogs, mag
er auch unbequem sein. Verstecken wir uns nicht länger vor den
Problemen, die wir haben. Schauen wir sie uns an, hören wir
sie uns an! Lasst uns eine Sprache mit den Roma finden, nicht gegen
sie! Das ist der einzige Weg, Gleichgültigkeit, Hass und Vorurteile
zu überwinden. Und wir müssen sie überwinden, wollen
wir nicht, dass die Saat der Täter aufgeht. Sie soll keinen
fruchtbaren Boden finden, soviel Stolz müssten wir doch immerhin
in uns haben!
Und an die Roma in diesem Ort richte ich folgenden Appell: Verschließt
euch nun als Reaktion auf dieses grässliche Attentat nicht noch
mehr vor uns, obwohl ihr allen Grund dazu hättet, mit Angst
und Misstrauen zu reagieren. Geht zu auf uns, wenn ihr merkt, dass
wir zu kleinmütig sind, um unsererseits auf Euch zuzugehen.
Schweigt nicht, wenn wir ungerecht zu Euch sind! Lehrt uns das zu
begreifen, was zu begreifen wir uns so lange weigerten in unserer
Distanz zu allem Fremdartigen, allem Unbekannten, weil es uns heimliche
Angst einjagt und letztlich unheimliche Aggression. Helft auch Ihr
uns, Euch die Roma, zu erkennen als lebensbejahende, freiheitsliebende
und entgegenkommende Menschen! Jedes Volk auf diesem Planeten ist
der Reichtum dieses Planeten. Jede Sprache der Welt ist der Reichtum
der Welt.
Wir sollten den so lange im Tiefschlaf schlummernden Reichtum in
dieser Stadt endlich wach küssen!
Peter Wagner
Kommentare, Reden, Offene Briefe (Auswahl)
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