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Postgebühr Bar Bezahlt
Die Rede wurde anlässlich einer CD-Präsentation der burgenländisch-kroatischen
Rockgruppe „Bruji“ im kroatischen Akademikerklub in Wien
gehalten.
Sehr verehrte Damen und Herren! Liebe Freunde!
Postgebühr bar bezahlt. An einen Haushalt.
Die moderne Satz- und Drucktechnik hat es möglich gemacht,
dass heute jeder mit relativ geringem Aufwand etwa eine Zeitung herstellen
und regional oder überregional über den Postweg vertreiben
kann. Die Ware Information wird kontainerweise über den Informationskunden
geschüttet, wobei das Wort Information in die Irre führt:
kaum eine Zeitung will informieren unter Abwägung von Argumenten,
ja man verzichtet zunehmend sogar auf das Aufrechterhalten zumindest
einer Scheinobjektivität. Es geht schlicht und einfach nur noch
um das, was man früher viel treffender als Propaganda bezeichnete
- wofür es im Dritten Reich in Anwandlung einer seltenen sprachlichen
Selbstoffenbarung ein eigenes Ministerium gab, das berüchtigte
Propagandaministerium unter seinem nicht weniger berüchtigten
Josepf Goebbels. Es diente als Fabrik der dem Volk unterzujubelnden
offiziellen Doktrin des Regimes, als Drechselbank der allumfassenden
Lüge, auf die das Dritte Reich seine Lebensfundamente aufbaute,
als Knetmaschine der Hetze, Diffamierung und verlogenen Euphorien,
mit denen ein Volk von seiner eigenen Erwähltheit überzeugt
werden sollte - und ja schließlich auch wurde.
Auch wir im Österreich und im Burgenland des Jahres 1995 erleben
eine Renaissance der Propaganda in jener düsteren geistigen
Tradition eines Joseph Goebbels. Tagtäglich werden wir bombardiert
mit einer Flut von Propagandamaterial aus Wirtschaft und Politik,
wir ersticken unter dem vielen Papier, das es verdiente, am besten
gleich im nächsten Papierkontainer zu verschwinden, damit der
geistige Unrat nicht allzu sehr in die Köpfe der Propagandakunden
einsickere.
Und doch lohnt es sich bisweilen, einen Blick in die Hochglanzpropagandablätter
jener Sekten zu tun, die sich Parteien, neuerdings auch Bewegungen
nennen und aufgrund von Wahlen legitimiert und beauftragt sind, die
Gestaltungsprozesse unserer demokratischen Gesellschaft zu vollziehen.
Da wird, auch für den unbedarften Leser längst sichtbar,
ungeniert gehetzt, gelogen, diffamiert und - was zunächst nicht
auffällt, aber nicht weniger schlimm ist - verschwiegen. Ich
möchte mich aus aktuellem Anlass auf den letzteren Aspekt etwas
einlassen, auf das Verschweigen, jener grauen Eminenz der Propaganda,
die - weil sie uns einen Teil der Wahrheit bewusst vorenthält
- aus der Lüge eine Lüge, aus der Hetze eine Hetze, aus
der Diffamierung eine Diffamierung macht.
Postgebühr bar bezahlt. An einen Haushalt.
Die blaue Postille „Burgenländische Nachrichten“ übertitelt
einen Artikel wie folgt: „Wir gedenken der toten Kroaten und
Sudetendeutschen“. Darunter heißt es, ich zitiere: „Vor
50 Jahren ist der schrecklichste Krieg der Menschheit zu Ende gegangen.
Millionen von Toten waren auf allen Seiten zu beklagen, Opfer und
Täter. Wir gedenken aller Opfer dieses Krieges, möchten
aber auf jene nicht vergessen, die gerne vom offiziellen Österreich
bei den Trauerfeierlichkeiten unerwähnt bleiben. So gedenken
wir jener 25.000 Kroaten, die 1945 an Tito-Jugoslawien entgegen dem
Völkerrecht ausgeliefert und zu tausenden hingeschlachtet wurden,
weiters jener tausender Sudetendeutscher, die nach Ende des Krieges
aus ihrer Heimat vertrieben und bestialisch ermordet wurden. Landesvorstand
der Freiheitlichen des Burgenlandes.“ Zitat Ende. Mehr ist
den Freiheitlichen des Burgenlandes im Gedenken an das Kriegsende
nicht eingefallen, könnte man nun sagen. Aber es ist ihnen in
der Art, wie sie das meiste verschweigen, doch einiges eingefallen,
wie ich sogleich nachzuweisen versuchen werde.
Es ist schon bemerkenswert, was man in einigen Sätzen alles
unerwähnt bleiben lassen kann! Als wäre „der schrecklichste
Krieg der Menschheit“ nichts weiter gewesen als eine Naturkatastrophe
des Zwanzigsten Jahrhunderts, als hätte er nicht seine genau
benennbaren Initiatoren und Betreiber gehabt. Aber die angeblichen
Demokraten tun sich noch immer schwer damit, ein von „ordentlicher
Beschäftigungspolitik“ geprägtes Terrorregime zu
verurteilen, und verschweigen uns daher die Täter - die sie
dann, eine Zeile weiter, gemeinsam mit den Opfern beklagen. „Millionen
von Toten waren auf allen Seiten zu beklagen, Opfer und Täter.“ Da
sind den blitzgescheiten Wortattentätern gleich einige Freudsche
Fehler gleichzeitig passiert. Denn dass man Täter beklagt, könnte
auf ein spätes Schuldbekenntnis schließen lassen - man
muss es in der Tat beklagen, dass Ihr Deutschen und wir Österreicher
zu Tätern geworden sind, und zu welchen noch dazu! Dann aber
wäre es nur umso infamer, Opfer und Täter in ein- und denselben
Zusammenhang zu stellen, womit offenbar ganz bewusst das Opfer des
Opfers und die Tat des Täters gleichgesetzt und relativiert
werden sollen. Solcher Umgang mit Geschichte ist nur als zynisch
zu bezeichnen.
Schließlich jedoch versucht man doch noch eine Kurve zu kratzen: „Wir
gedenken aller Opfer dieses Krieges, möchten aber auf jene nicht
vergessen, die gerne vom offiziellen Österreich bei den Trauerfeierlichkeiten
unerwähnt bleiben.“ Übersetzt in die Sprache des
Verstehenden lautet dieser Satz: Wir verschweigen die Millionen Juden,
Zigeuner, politisch Verfolgten, Homosexuellen, Unbotmäßigen,
getöteten und psychisch deformierten Soldaten, die der Vernichtungsmaschine
der Nazis anheim gefallen sind, mit dem vordergründigen Argument,
dass das offizielle Österreich sie ohnehin genug beweinen würde.
Unterschwellig erfahren wir, dass die wahren Verbrecher im Tito-Jugoslawien
beheimatet sind und dass wir keinen Grund haben, uns über Millionen
von den Nazis Vertriebenen und bestialisch Ermordeten nicht gar so
aufzuregen, wo doch auch Tausende von Sudetendeutschen aus ihrer
Heimat vertrieben und bestialisch ermordet wurden. Unter bewusster
Missachtung des Gesetzes von Ursache und Wirkung wird - fünfzig
Jahre nach Kriegsende noch immer! - eine Propaganda der Verharmlosung
und Verdrehung betrieben. Freilich so subtil, noch so subtil, daß der
oberflächlich Lesende durchaus mit Zustimmung reagieren wird.
Joseph Goebbels hätte seine Freude daran gehabt.
Postgebühr bar bezahlt. An einen Haushalt.
„Unser Bezirk Oberwart“, Medieninhaber, Herausgeber
und Verleger: Österreichische Volkspartei, Bezirksparteileitung.
März 1995, einige Wochen nach dem Mord an den vier Roma in Oberwart.
Schlagzeilen der einzelnen Artikel, Zitat: „ÖVP setzt
Impulse für die Region“, „100 Jahre und sehr weise
- Ehrungen für Direktor Alexander Luif“, „Eine widerliche
Hetzkampagne“, „Bezirksmodell Oberwart“, „Arbeitsstiftung
Süd läßt hoffen“, „Budget: Startschuss
für neue Aufgaben“, „FPÖ-Rauter: Der Blaue
als Millionär“, „Burgenland braucht seine
Bauern“, „Auf dem Weg nach Europa“, „Nebenbahnen
für das Südburgenland“, „1.000 ÖS für
Ihre alte Uhr“, „Gastronomie unterstützen!“, „Das
Stimmrecht nützen, doch Vorsicht bei Blau!“, „Treffpunkt
Wirtschaft“, „Aktivität ist gefragt“, „Der
Bezirk Oberwart: Naturraum - Geschichte - Gegenwart“, „Mit
der ÖVP gewinnen“, „Das Thema: Österreich wohin?“, „Aktion
Mitmensch: Jahrestreffen“, „Baummord sorgt für erhitzte
Gemüter“, „Maschinenring Oberwart Süd“, „Schuldnerberatung:
Großer Nachholbedarf im Burgenland“, „Eu-Förderung
gerecht verteilen!“, „1945-1995, Eine gute Zeit, Volkspartei“.
Zitat Ende.
Keine Schlagzeile: „Die Österreichische Volkspartei fühlt
mit den Angehörigen der Opfer und dem Verletzten der feigen
Attentate von Oberwart und Stinatz“. Keine Schlagzeile: „Wir
haben Versäumnisse einzugestehen“. Keine Schlagzeile: „Lernen
wir doch aus der Geschichte! Das Schreckliche darf sich nicht mehr
wiederholen!“
Für die Bezirksparteileitung der ÖVP existiert, einige
Wochen nach dem Ereignis, das Ereignis nicht mehr. Wir sagten 1945:
Niemals vergessen. Hier lernen wir zu begreifen, dass Vergessen keine
Frage von Jahren, von Jahrzehnten, von Jahrhunderten ist. Es ist
eine Frage von Tagen und Wochen. Was immer auch die Gründe für
dieses Vergessen sein mögen!
Postgebühr bar bezahlt. An einen Haushalt.
„Oberwart aktuell. Zeitung der SPÖ Oberwart und St. Martin“,
Nr. 1/1995, erschienen im April. Zitat: „Die Stadtorganisation
Oberwart, alle Mitglieder des Gemeinderates und alle Mitarbeiter
von „Oberwart Aktuell“ wünschen Ihnen Frohe Ostern“, „1.
Vizebürgermeister: Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger
von Oberwart und St. Martin in der Wart! An den Anfang meiner Ausführungen
möchte ich wieder einen Überblick über die budgetäre
Situation stellen.“ ... und weiter: „Auch auf kulturellem
Sektor ist Nachholbedarf gegeben, wie etwa ... „ ... und weiter: „Kurz
noch zum Thema Verkehr ...“, und abschließend: „Über
die terminliche Abstimmung der Einführung der Parkraumbewirtschaftung
... hoffe ich in Kürze Neues berichten zu können und wünsche
Ihnen nun noch ein gesegnetes Osterfest. Ihr ...“. Und weiter: „Wir
erlauben uns, Sie und Ihre werte Familie zum Frühlingsball der
SPÖ Oberwart, am Samstag, dem 22. April 1995, in den Räumen
des Gasthofes Drobits in Oberwart herzlichst einzuladen. Beginn:
20 Uhr, Eintritt: S 80,- / Paare S 150.-. Musik: ´Topsound´“.
Und weiter: „Wir laden recht herzlich ein zur Muttertagsfahrt
am Samstag, dem 29. April 1995, nach Lutzmannsburg - Raiding.“ Zitat
Ende.
Keine Schlagzeile: „Die Sozialdemokratische Partei Österreichs
fühlt mit den Angehörigen der Opfer und dem Verletzten
der feigen Attentate von Oberwart und Stinatz“. Keine Schlagzeile: „Wir
haben Versäumnisse einzugestehen“. Keine Schlagzeile: „Lernen
wir doch aus der Geschichte! Das Schreckliche darf sich nicht mehr
wiederholen!“
Für die SPÖ-Oberwart existiert, einige Wochen nach dem
Ereignis, das Ereignis nicht mehr. Wir sagten 1945: Niemals vergessen.
Hier lernen wir zu begreifen, dass Vergessen keine Frage von Jahren,
von Jahrzehnten, von Jahrhunderten ist. Es ist eine Frage von Tagen
und Wochen. Was immer auch die Gründe für dieses Vergessen
sein mögen!
Verehrte Damen und Herren, liebe Freunde! Ich wollte Euch etwas über
die Rockgruppe Bruji erzählen. Manche von Ihnen mögen es
nicht gehört haben - aber ich habe Euch etwas über die
Rockgruppe Bruji erzählt. Wie gut, dass es Bruji gibt - auch
und gerade unter den Aspekten des vorhin gesagten!
Peter Wagner, am 5.5.1995
Kommentare, Reden, Offene Briefe (Auswahl)
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