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Ein Orchesterkonzert
als politische Bekundung - Zum Jahresprojekt zone38 und
zum Tod von Wolfgang R. Kubizek
Die sog. Reichspogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938 hat
der Welt erstmals das wahre Gesicht des Terrorregimes der Nazis
in Deutschland und Österreich gezeigt. Rund 400 Menschen wurden
getötet, es brannten die Synagogen und Privathäuser von
Juden. Hunderttausende wurden in der Folge in KZs deportiert. Die
Novemberpogrome 1938 kennzeichnen den Übergang des Nazi-Regimes
von der jüdische Mitmenschen betreffenden Diskriminierung und
Ausgrenzung – kommt uns das irgendwie bekannt vor? –
hin zur systematischen Verfolgung und Ermordung der europäischen
Juden.
Auch Oberwart hat diesen Tag wahrgenommen. Wenn auch, wie ein Zeitzeuge
sagt, in sehr „abgeschwächter Form“, da seien höchstens
ein paar Fensterscheiben und Auslagen eingeschlagen worden, es seien
ja schließlich ohnehin keine Juden mehr da gewesen. Man hatte
hierzulande plan gemacht, im Sommer und Herbst 1938 gab es die Menschen
nicht mehr, die noch ein halbes, ein viertel Jahr davor Mitbürger
mit gleichen Rechten und Pflichten gewesen waren.
Wie kennzeichnet man den graduellen Unterschied zwischen der Gewalt
des Vertreibens und der Gewalt des Brandschatzens und Vernichtens?
Oder der Gewalt, die Fensterscheiben einschlagen lässt, obwohl
ohnehin keine Juden mehr da waren? Auch heute noch, siebzig Jahre
später, ruft der kollektive Machtrausch eine beklemmende, verstörende
und so wenig fassbare Ohnmacht aus, auch bei uns Nichtbetroffenen
– und doch Betroffenen, weil wir ja die Kinder und Enkelkinder
derer sind, die sich von diesem Rausch gefangen nehmen und dafür
jeden Verstand und jegliches Mitgefühl fahren hatten lassen.
Das siebenteilige Jahresprojekt zone38 des Offenen Hauses Oberwart
hat einige Fragen gestellt, was die Zeit des Anschlusses Österreichs
an Nazi-Deutschland in Oberwart und im Burgenland betrifft. Immerhin
wusste man, dass das Burgenland von den im Untergrund wirkenden
illegalen Nazis bestens auf den Anschluss vorbereitet gewesen war.
Dennoch galt und gilt dieses Jahr in mancherlei Hinsicht als weißer
Fleck, sowohl in der Geschichtsschreibung als auch im Gedächtnis
der Menschen hierzulande. Bezeichnender Weise kam der Hinweis eines
anderen Zeitzeugen wie nebenbei in einem Gespräch, auch in
Oberwart hätten die jüdischen Bürger gleich nach
dem Anschluss den Gehsteig vor dem Park kehren, ja mit der Zahnbürste
reinigen müssen, von Oberwarter nichtjüdischen Bürgern
mit Karabinern bewacht. Davon zeigte sich selbst die regionale Geschichtsschreibung
überrascht, offenbar hatte bis dahin niemand darüber gesprochen.
Man tut sich noch immer schwer mit dem Sprechen, selbst 70 Jahre
danach.
Dennoch ist auch Positives zu vermelden, trotz der viermaligen Komplettzerstörung
der Installation PFLÖCKE/Korridor vor dem sog. Anschlussdenkmal
in Oberschützen durch Unbekannt. Übrigens: Ein einziger
Pflock hat seit der letzten Devastierung der Installation Anfang
Juni dieses Jahres beharrlich Widerstand gegen seine Entfernung
geleistet. Er steht heute noch an seiner Stelle, stellvertretend
für 69 andere, die dort nicht stehen dürfen, weil sie
dort nicht stehen sollen, wo sie an etwas erinnern.
Zum Positiven: Die Ausstellungsinstallation „Vom Bürsten
und Kehren“, ein Werk der beiden Künstlerinnen Eveline
Rabold und Sabine Meier, das an den Exodus der Oberwarter Juden
1938 und das fast völlige Ausbleiben ihrer Rückkehr nach
1945 erinnert, errichtet im Stadtpark Oberwart, eröffnet von
Nationalratspräsidentin Barbara Prammer, konnte jedenfalls
ohne jeden nächtlichen-anonymen Angriff bis zum heutigen Tag
ihr Dasein im öffentlichen Raum überleben - etwas, das
vor 28 Jahren bei einem sog. Zigeunerdenkmal, das an fast der gleichen
Stelle an die Verfolgung und Vernichtung der Roma erinnerte, noch
nicht möglich war.
Von der Ausstellung im Rathaus, die das Zitat eines Zeitzeugen aus
Oberwart im Titel führt: „... ich hätte viel zu
erzählen, aber dazu sage ich nichts“, kann sogar vermeldet
werden, dass sie einen eindeutigen Erfolg bei den zahlreichen Besuchern
erzielen konnte. Die Historikerin Ursula Mindler und der Bildende
Künstler Wolfgang Horwath nahmen in ihrem exemplarischen Versuch,
neben einem Abriss der Vorfälle des Jahres 1938 auch den detaillierten
Nachweis über Arisierung und Übernahme jüdischen
Besitzes in Oberwart zu erbringen, fast das gesamte Rathaus in Beschlag
(das Ergebnis dieser Arbeit liegt mittlerweile auch in Buchform
auf). Umfangreiche Führungen von Schülern durch die Ausstellungen
sowie ein Workshop zum Thema Zivilcourage eröffneten Hunderten
von Schülern ein Thema, für das die Gegenwart sehr wohl
Analogien bereit hält, mögen sie sich nun in den vielen
Formen offen geschürter oder klammheimlich durchscheinender
Xenophobie, den Segnungen einer im neoliberalen Gewande legitimierten
Konkurrenz- und Neidgesellschaft oder in immer unverhohlener geäußerten
Varianten des autoritären politischen Gedankens äußern.
Der Geschäftsführer des Offenen Hauses Oberwart, Alfred
Masal, hat es sich nicht nehmen lassen, zahlreiche Führungen
durch die Ausstellung im Rathaus selbst zu leiten. Er kann heute
von Bewusstseins- und Stimmungslagen innerhalb der heranwachsenden
Generation erzählen, die uns durchaus alarmieren sollten und
die ja auch im Wahlverhalten vieler Jugendlicher, viel zu vieler
Jugendlicher bei der zuletzt stattgefundenen Wahl einen beängstigenden
Ausdruck gefunden haben. Er kann aber auch etwas von Neugierde und
einer noch immer wachen Bereitschaft zur geistigen Eigenleistung
Jugendlicher erzählen, sobald diese nicht nur angeboten, sondern
auch eingefordert wird.
Und noch einmal das sog. Anschlussdenkmal in Oberschützen.
Dieser Tage hat ein zweiter, zur Fortsetzung einladender Versuch
begonnen, die nackte, ungestaltete, geduldete Anwesenheit eines
Anschlussdenkmals in Oberschützen zu thematisieren, eines Bauwerkes,
das zwar 1997 per oberschützer Gemeinderatsbeschluss als Friedensmal
apostrophiert wurde, trotzdem aber in ästhetisch völlig
unveränderter Weise heute genau so dasteht, wie es 1939 erbaut
wurde. Seit gestern hängen in Oberwart Großplakate der
Bildhauerin Ulrike Truger, die dieses weithin sichtbare, symbolische
Bauwerk der Nazis und ihrer glühenden Verehrer einem anderen
Begriff der Dorferneuerung anempfehlen, nämlich einer Erneuerung
geistigen Lebens, die in vielen Gemeinden offenbar noch nicht stattgefunden
hat.
Den Abschluss der zone38 bildet schließlich die Uraufführung
eines Auftragswerkes des Oberwarter Literaten Clemens Berger, des
Theaterstücks „Und jetzt“. Vages Vorbild für
Bergers durchaus kritischen Versuch, unsere Gedenkkultur bzw. unseren
Umgang mit dem Gedenken zu thematisieren, ist der Mord- und Selbstmord
eines jüdischen Tierarztes in Oberwart, eines der letzten Verbliebenen
offenbar, der in der Silvesternacht auf 1939 seinen Sohn und sich
selbst getötet hat. Die Premiere findet denn auch am Silvesterabend,
als genau 70 Jahre nach der Tat, statt. Sie beinhaltet neben der
Ebene des klassischen Sprechtheaters auch parallel laufende, emanzipiert
gestaltete Elemente des Modernen Tanzes und bietet auch in ästhetischer
Hinsicht eine Premiere. Danach wird das alte Jahr von einer Klezmer-Band
hinaus gespielt und das neue hereingespielt. Anmeldungen für
diesen Abend werden ab heute in diesem Haus entgegen genommen.
Mit dem nun folgenden Orchesterkonzert in Erinnerung an den kollektiven
Zerstörungs- und Vernichtungswahn der in Schwung gekommenen
Nazibarbarei setzt das Jahresprojekt zone38 einen weiteren Schwer-,
wohl aber auch Höhepunkt. Eröffnet wird der Abend durch
eine unerwartete, glückliche Fügung mit dem jüdischen
Totenlied „El male rachamim“, vorgetragen vom Tenor
Oberkantor der Israelitischen Kultusgemeinde in Wien, Mag. Shmuel
Barzilai. „El male rachamim“ sind die Anfangsworte eines
Gebetes, das u.a. auch zum Gedenken an die Opfer des Holocaust vorgetragen
wird. Willkommen Oberkantor Shmuel Barzilai.
Nach dem Totenlied ist der weitere Abend dem erweiterten Janus-Ensemble
unter der Leitung von Christoph Cech überlassen. Das Ensemble
wurde 1996 von Wolfgang R. Kubizek und Christoph Cech mitbegründet.
Es wurde für den heutigen Orchesterabend auf 40 Musiker erweitert.
Ein Willkommen dem Janus-Ensemble und dem Solisten Johann Leutgeb.Bei
der Auswahl der einzuladenden Komponisten war die Entscheidung,
damals im Feber 2008, relativ bald getroffen. Aus nahe liegenden
Gründen sollten sowohl ein jüdischer Komponist als auch
ein Komponist der Volksgruppe der Roma darunter sein, denen wir
zeitgenössische, österreichische Komponisten, Protagonisten
des anderen Österreich, hinzufügen wollten.
Mit Tzvi Avni sind wir auf einen israelischen Komponisten mit weltweiter
Reputation gestoßen, der unserer Einladung mit Freuden gefolgt
ist. Er ist Mitte dieser Woche in Österreich eingetroffen und
heute anwesend. Sein Stück „Prayer“ verwandelt
das Gebet in Musik und die Musik in ein Gebet. Willkommen, Tzvi
Avni.
Auch Kamil Polak, der aus der Slowakei gebürtige und in Wien
lebende Rom, ist zugegen, wir werden ein Stück von ihm hören,
das als Auftragswerk des Offenen Hauses Oberwart Bezug nimmt auf
die Toten Roma des Bombenattentates von Oberwart und schon bei der
Uraufführung im Jänner 2005 hier in diesem Saal die Zuhörer
bewegte. Willkommen, Kamil Polak.
Christoph Cech, der Dirigent des heutigen Abends, mehrmaliger künstlerischer
Gast in diesem Haus, zuletzt bei den Tiroler Festspielen Erl mit
der Uraufführung „Missa“ in Erscheinung getreten,
steuert die Uraufführung eines Werkes für Streichorchester
bei. Willkommen Christoph Cech.
Und schließlich stand bei der ursprünglichen Suche nach
Komponisten ein Name gleich an erster Stelle: Wolfgang R. Kubizek.
Als ich ihn im Feber dieses Jahres fragte, ob er für dieses
Konzert ein Stück komponieren würde, sagte er in seiner
üblichen, knappen Art in genau sieben Wörtern: „Du
weißt eh, dass ich das mache.“
Unerwartet und zur tiefen, weiterhin nachwirkenden Betroffenheit
von uns allen, die im OHO aktiv waren und sind, ist dieses Konzert
nun nicht nur auf die programmierte Erinnerung der Pogrome von 1938
beschränkt. Es hat die traurige Pflicht, an den Komponisten
selbst zu erinnern, an den Urheber eines Werkes, das das Gebaren
Österreichs mit und in seinem Selbstverständnis oder besser
gesagt: Nicht-Selbstverständnis als Mittäterland zum Thema
macht.
Wenige Tage nach Fertigstellung der Partitur ist Wolfgang gestorben,
herausgerissen, wie man sagt, mitten aus dem Leben, zynisch wie
das Leben ist, wenn es uns den Tod anträgt, den ganz und gar
nicht erwarteten, den heimtückischen, uns das Leben nimmt,
das nicht mehr einklagbare, nicht dem Individuum alleine nimmt,
sondern auch seinen Geliebten und Freunden, denen das Leben des
Geliebten und Freundes genommen wird.
Kubizek entstammt einer traditionsreichen Komponistenfamilie, die
ihr Zentrum in Oberösterreich hatte. Sein Großvater war
ein Jugendfreund Adolf Hitlers. Er hat darüber das Buch „Adolf
Hitler mein Jugendfreund“ geschrieben, das 1953 erstmals erschienen
ist. Wolfgang sagt darüber in seinem letzten Interview mit
der Musik-Internetplattform Mica: „Das war für mich zu
Hause als Kind in Form eines Buches gegenwärtig, das auf dem
obersten Regal gestanden ist und das man nicht in die Hand nehmen
hat dürfen. Als ich begann zu begreifen, warum man das nicht
angreifen durfte, habe ich begonnen, alles das zu tun, was meine
Eltern nicht wollten.“ Fast logisch folgt einige Absätze
danach der Satz: „Für mich war Musik nie etwas, das man
nur macht, um einfach zu spielen, sondern in irgendeiner Form immer
thematisch auf die Gesellschaft bezogen.“
Wolfgang hat diesen Grundsatz gelebt wie kaum ein anderer Kreativer.
Obwohl er der Musik immer den Stellwert als einer eigenen, in ihrem
eigenen Mysterium sich mitteilenden Kommunikationsform zugestand
und diesen auch einforderte, trennte er sie niemals von ihrer Identität
im Politischen. Vielleicht gerade deshalb, weil Mysterium und Politisches
sich gar nicht so fern sind wie allgemein geglaubt. Sein energisches
und oftmals auch sehr einsames Engagement für zeitgenössisch-avantgardistische
Musik im OHO der Neunzigerjahre und in der von ihm mitbegründeten
Vereinigung „Komponisten und Interpreten im Burgenland“,
kurz: KIBu, war durchdrungen vom Glauben an die gesellschaftliche
Bedeutung von Musik, auch wenn sich dieser oftmals ausnahm wie ein
Kampf gegen Windmühlen. Irgendwann schien er dann auch knapp
daran zu resignieren und den Sinn seiner eigenen Arbeit in Frage
zu stellen. Man dachte, er habe aufgehört mit dem Komponieren,
er suche Glück und Orientierung – auch irgendwie bezeichnend
– im Volksbildenden. Aber einen so sehr von seiner Berufung
Durchdrungenen konnte die Musik und das Musikschaffen nicht auf
Dauer verlassen. Wie man sieht, hat es auch in der Zeit, in der
er eher zurückgezogen erschien, eine nicht unbeträchtliche
Anzahl von Kompositionen gegeben. Bis ein Kompositionsauftrag des
Mauthausenkomitees ihn überhaupt aus seiner vermeintlichen
Klause holte und seine kompositorische Energie in das gewaltige
Oratorium „... und alle Toten starben friedlich“ nach
dem Text von Vladimir Vertlib, uraufgeführt in Mauthausen 2007,
münden ließ.
Es ist Wolfgang nicht vergönnt, die Uraufführung seines
Werkes „atme österreich“ selbst zu erleben, wiewohl
Christoph Cech, der sich in den letzten Wochen intensiv mit der
Partitur beschäftigte und sie technisch vollendete, auch betont,
Wolfgang sei quasi ständig neben ihm gestanden.
Wir werden sein Werk stellvertretend für ihn erleben und empfangen.
Um auf diese Weise noch einmal mit einem Menschen verbunden zu sein,
der nichts so sehr für sich wünschte, als über ausschließlich
seine Musik erspürt und empfunden zu werden. Hier bist Du noch
einmal, Wolfgang. Und schon wieder. Wir wünschen uns, Dir durch
Dein Werk noch öfter und immer wieder nahe sein zu können.
Willkommen, Wolfgang.
Peter Wagner, 8. November 2008
Kommentare, Reden, Offene Briefe (Auswahl)
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