Die verhinderte Konfrontation
Der Prozess Franz Fuchs und die Roma von Oberwart
Die Prozessdramaturgie des Angeklagten war darauf ausgerichtet,
den Angehörigen der Opfer des Attentats von Oberwart im Gerichtssaal
nicht begegnen zu müssen. Während er seine Tiraden losließ,
warteten die als Zeugen geladenen Roma in einem Gang vor dem Gerichtssaal,
der aber wiederum streng abgeschirmt war von jenem Gang, durch den
man Franz Fuchs heranbrachte und wieder wegführte.
Sie hätte ihn ursprünglich ohnehin nicht sehen wollen,
sagt die Frau mit dem gefärbten roten Haar. Jetzt aber, da sie
ihn ganz kurz durch einen Spalt der Türe erspäht habe,
hätte sie das Gefühl, etwas versäumt zu haben. Sie
hätte versäumt, ihm zuzuschreien: „Du bist der Mörder!“ Es
wäre ihr leichter jetzt ...
Die Frau, Witwe eines der Toten von Oberwart und Mutter von fünf
Kindern, ist erst gegen halb zehn am Abend des gleichen Tages zur
kleinen Runde gestoßen, die um einen Küchentisch in der
Oberwarter Romasiedlung sitzt und Cola aus der Plastikflasche trinkt.
In den Tagen vor dem Prozess hatte sie unter Angstzuständen
und Schlaflosigkeit gelitten. Sie hatte sich mit Valium voll gestopft,
um dort in Graz überhaupt auftreten zu können. Im übrigen
wolle sie nichts als ihre Ruhe, sagt die Frau und zündet sich
die nächste Zigarette an.
Rückkehr zu einem normalen Leben: schon in der Äußerung
dieser Utopie manifestiert sich die ganze Resignation der noch relativ
jungen Frau. Das normale Leben hieße demnach auch nichts anderes
als die Verdrängung des Geschehenen. Das mag das heimliche Ziel
vieler anderer Roma von Oberwart sein, gleichwohl wissen die meisten
nur zu genau, dass es unrealistisch ist. „Wir wärmen die
Geschichte wie eine Suppe immer wieder auf“, sagt der eine
Mann, „aber dir ist zum Kotzen, wenn du immer die gleiche Suppe
frisst.“
„Wir können mit niemandem darüber reden, was in
uns drinnen los ist“, sagt seine Frau.
„Das Attentat ist ein Tabu in Oberwart“, sagt der Bürgermeister
in einem TV-Interview.
Am Tisch herrscht beredte Ratlosigkeit angesichts der Performance
des Angeklagten. Aber auch angesichts der Performance der Medien.
Da wird diesem Mann mit den Armstümpfen und der erschreckenden Ähnlichkeit
mit Hitler auf sämtlichen TV-Bühnen eine Präsenz verschafft,
die die Opfer und ihre Hinterbliebenen zur vernachlässigbaren
Randerscheinung degradiert.
Wie kann es sein, fragt sich die eine Zeugin aus der Siedlung, dass
aus ihrer Aussage heute Vormittag vor Gericht ein „Punkt für („für“ bitte
kursiv setzen, Anm.) die Verteidigung“ werden konnte - so verlautbarte
es der ORF am Nachmittag mehrmals -, da sie doch nichts anderes gesagt
hätte, als dass der Weg, auf dem die Bombe detoniert sei, fast
ausschließlich von Roma benutzt würde. „Unsere Kinder
haben dort immer gespielt.“
Je lauter die Erregung am Küchentisch wird, umso konsterniertere
Formen nimmt sie an. Da bricht sich so vieles gleichzeitig und unkontrolliert
Bahn:
Den Angehörigen in Gralla hätte man sofort nach Bekanntwerden
der Verhaftung des mutmaßlichen Bombenlegers psychologische
Hilfestellung angeboten. Ein Angebot dieser Art gab es bei ihnen,
den Roma, wie selbstverständlich nicht. Obwohl es einige
dringend gebraucht hätten.
Auch haben es die Roma von Oberwart noch immer nicht verwunden -
und wer wird es ihnen verdenken! -, dass die Sicherheitskräfte
unmittelbar nach dem Auffinden der vier Toten, als deren Angehörige
das Unbegreifliche überhaupt noch nicht erfasst hatten, ohne
jede Scham und mit der größtmöglichen Pietätlosigkeit
in die Häuser der Siedlung eingedrungen waren und dort ein Bild
der Verwüstung hinterlassen hatten.
Die Roma, diese mitunter so schüchternen und verängstigten,
in sich zurückgezogenen Menschen, aus denen jederzeit Verschmitztheit
und bare Heiterkeit angesichts des kleinsten Zeichens von Vertrauen
hervorbrechen können, wären mit einer einfachen Entschuldigung
zufrieden gewesen. Diese kam freilich bis zum heutigen Tag nicht.
Was wäre das für ein Zeichen gewesen, sich bei Roma zu
entschuldigen - und möglicherweise nicht nur für einen
polizeilichen Vandalenakt! Da ist die Reise des damaligen Bundeskanzlers
nach Jerusalem ein vergleichsweise abgesichertes Unternehmen. Der
burgenländische Landeshauptmann hatte schon wenige Wochen nach
dem Attentat das „Thema Roma“ auf Druck seines sozialdemokratischen
Funktionärskaders von der Tagesordnung gestrichen. Er zieht
es seitdem vor, bei Jahrestagen des Attentates, denen so oder so
nur eine bescheidene Öffentlichkeit beschieden ist, seinen Stolz
darüber zu bekunden - und man darf annehmen: wider besseres
Wissen -, wie gut „wir Burgenländer“ und überhaupt
das ganze „demokratische Österreich“ mit diesem „unmenschlichen
Verbrechen“ zurande gekommen wären.
Die Roma von Oberwart sind es jedenfalls nicht. Aber danach fragt
keiner.
Ihre Ohnmachtsgefühle begründen sich denn auch zu einem
erheblichen Teil in diesem fortgesetzten, massiven Verschleuderungsakt
an Worten, der seinerseits wiederum nur die Ohnmacht der Politik
und ihre Angst vor der Konfrontation mit dem Common sense signalisiert.
Hier trifft die Mentalität der österreichischen Politik
auf die Mentalität des österreichischen Terroristen Franz
Fuchs: dieser versucht sich mit Wort- und Hasstiraden vor Gericht
aus seiner Verantwortung hinauszukatapultieren - die Politik tut
es mit schönen Versprechungen und leerem Euphemismus, um von
der ihr immanenten Beziehungslosigkeit zu jeglichem (politischen)
Opfer abzulenken. Feige ist beides in gleichem Maße.
Fast hat es den Anschein, als hätte der opportunistische Herr
Karl seine manifeste, weniger kulinarische Kehrseite gefunden, die
sich mit ihm in eine monströse Symbiose des Österreichischen
verdichtet: den Gewalttäter aus Angst, der seine schreiende
innere Schwäche in Selbstgerechtigkeit bis hin zum Akt des Terrors
erstickt, um angesichts seiner Verantwortung wieder in sich zusammenzubrechen
und fortan nach dem verschlagenen Umweg vor der fälligen Konfrontation
mit seiner Tat zu suchen. Nicht deinmal den eigenen Eltern konnte
er sich stellen. Oder aber: denen schon gar nicht!
Die Gründe, warum der Richter und die öffentliche Meinung
(täglich alles: „Ins Irrenhaus mit ihm!“) den angeklagten
Herrn Franz zum Psychisch Abnormen Rechtsbrecher verdrehen wollen,
liegen, wenn schon nicht auf („auf“ bitte kursiv setzen,
Anm.) der Hand, so doch unter der Hand: soviel übersteigerte
Normalität des Österreichischen, wie sie Franz Fuchs repräsentiert,
darf vor einem österreichischen Gericht nun doch nicht verhandelt
werden. Es stünde Österreich selbst vor Gericht - wer würde
das schon verkraften, der nicht gewohnt ist, im eigenen Arsch zu
forschen?
Es steht zu befürchten, dass gerade aus diesem Grund ein erklecklicher
Prozentsatz von Österreichern eine unbewusste Komplizenschaft
mit Franz Fuchs einzugehen bereit ist – so ferne er es nicht
schon getan hat.
Die Roma von Oberwart werden umso mehr mit sich alleine bleiben.
Die Unbeschwertheit der Kinder sei weg, sagt die andere Frau, sie
bringe ihre beiden Kinder jeden Tag selbst in die Schule und hole
sie von dort ab. Man treibe in der Siedlung immer weiter in die Isolation.
Jeder fühle sich beobachtet. Man rede nicht mehr wie früher
miteinander. Es herrsche sehr viel Misstrauen. Die Kinder fürchteten
sich vor dem Einschlafen.
Man ist sich einig: keinesfalls ist dieser Fuchs ein Einzeltäter! „Wer
weiß, wie viele da draußen noch herumschleichen“,
sagt der Mann.
So ist es, wenn die Angst sich in die hohle Hand rollt und von dort
den ganzen Körper erfasst.
Sie habe am ganzen Körper gezittert, als sie heute Vormittag
in den Zeugenstand getreten sei, sagt die Frau. Und fügt hinzu: „Ich
bin ja noch nie als Angeklagter vor Gericht gestanden.“
Sie bemerkt den Versprecher nicht. So wenig wie die anderen am Tisch.
Peter Wagner, 4. Feber 1999
Der Artikel ist als „Kommentar der anderen“ in
der Tageszeitung „Der Standard“ erschienen.
Kommentare, Reden, Offene Briefe (Auswahl)
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