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Fetischisierung
des Abgründigen
oder was sich für den Bekümmerten aus einem Studiogespräch
über das anstehende Dokudrama „Franz Fuchs – Ein
Patriot“ heraushören lässt.
von Peter Wagner
Fein. Da sitze ich also am späten Montagabend vor dem Kastl
und schaue einer Stadler und einer Scharang und einem Malkovics
zu, wie sie sich über den Helden eines sog. Dokudramas ergehen
(2. Oktober, 20.15 Uhr in ORF, FS 2). Und ich denke, na hoffentlich
sieht das keiner von den zweihundert Roma in der Siedlung draußen
in Oberwart, dieses unerträgliche und demütigende Gemauschel
über eine österreichischen Täterseele, die –
no na! – auch nichts anderes war als eine Opferseele.
Dann aber denke ich mir, die Roma werden das schon irgendwie hinnehmen,
so wie sie alles im Zuge dieses wahnwitzigen Attentates hingenommen
haben, auch das, was an medialer und politischer, polizeilicher
und verdauungstechnischer Folgeattacke dann noch nachgeschwappt
war. Und wer zählt schon die Blasen und Abschürfungen
und anderen Verbrennungen einer Volksgruppe, die zwar folkloristisch
geduldet ist und auch hin und wieder ihre Sendungen kriegt, aber
eigentlich noch immer keine Lobby hat, nicht in der Volksgruppenpolitik
und auch nicht im ORF.
Sonst würde in der Online-Ankündigung für das Dokudrama
„Franz Fuchs – Ein Patriot“ wohl kaum der Satz
zu finden sein: „ Der Briefbomber Franz Fuchs sah seine Verbrechen
als Dienst an der Gemeinschaft. Das faszinierende Psychogramm eines
widersprüchlichen Menschen, der vor allem eines sein wollte
- ein Patriot.“
Zilk ein Patriot. Stoisits eine Patriotin. Die Roma Patrioten. Franz
Fuchs ein hervorgehobener Patriot, weil ein faszinierendes Psychogramm
und ein widersprüchlicher Mensch noch dazu.
Jetzt endlich weiß ich, warum mir schlecht ist. Nicht weil
ich das möglicherweise Faszinierende an einem mörderischen
Psychogramm in Abrede stelle, sondern weil ich für die Roma
und die anderen Opfer denke. Das kann gefährlich sein. Oder
bare Notwendigkeit.
Es sei eigentlich gar nicht ihre Absicht oder gar ihr Anliegen gewesen,
einen Film über Franz Fuchs zu drehen, sagt die Regisseurin.
Vielmehr sei sie vom Produzenten darum gebeten worden. Zuerst habe
sie gedacht, man würde ihr den Unterweger geben, aber dann
beim Fuchs habe sie zunächst Zweifel gehabt, über den
wisse man ohnehin schon alles. Erst das Studium der Vernehmungsprotokolle
habe die weitere Neugierde angefacht usw.
Und bei all dem Studium authentischen Materials – der Schauspieler
durfte auch eine polizeiliche Videokassette, auf der Fuchs beim
Lokalaugenschein im Elternhaus zu sehen ist, nutzen - ist man dann
offenbar sehr schnell beim Opfer gewesen, das ein Täter war:
der starke Dialekt des Jugendlichen, das Zurückgewiesenwerden,
die anderen Demütigungen, die Flucht ins Ausland, wo er sogar
Türken geholfen habe.
Am Ende war er dann wieder zu Hause, einsam, zurückgezogen,
verkannt, in all seiner Auffälligkeit als Bombenbauer auffällig
unfassbar und scheinbegrifflich und jedenfalls unauffindbar, nachdem
er einige Menschen durch Briefbomben verletzt, wenn nicht sogar
verstümmelt und vier Roma überhaupt gleich umgebracht
hatte, allesamt österreichische Patrioten, sicher aber keine
Inder und Türken.
Der Schauspieler, das prominente Mitbringsel der Regisseurin und
Gelegenheitsredner, kann und will dann nicht erklären –
und es soll um Himmels Willen auch das Geheimnis seiner Profession
bleiben! -, wie und warum die Grenze zwischen ihm und der Figur,
die er darstellte, so derartig verschwimmen konnte, dass da letztlich
ein menschliches Wesen greifbar wird, wie es die Regisseurin ausdrückt.
Nein, ich spreche dem Versuch, sich einer Täterseele zu nähern,
mitnichten die Legitimation ab, und Komplexität im Zerreißvorgang
der menschlichen Seele ist mir kein Fremdwort, im Gegenteil. Allerdings
wird es dort obszön, wo man den Täter Franz Fuchs zum
Fetisch des österreichischen Abgrundes stilisiert, verhätschelt
und mit soviel fasziniertem Verständnis einsalbt, dass schon
die Ankündigung des spektakulären Filmereignisses eher
zur Verharmlosung seiner menschlichen Verkümmerung gerät
als zu deren vertiefender Betrachtung. Wir dürfen uns auf ein
faszinierendes Fernsehpsychogramm gefasst machen, vielleicht sogar
auf diese und jene Betroffenheit, warum denn auch nicht? Und gewiss
auf eine schauspielerische Glanzleistung.
Dennoch: Ist es wirklich legitim, den Täter Franz Fuchs, der
untrennbar mit dem Menschen Fuchs verbunden ist und nur als Täter
zu Geltung gelangen konnte, als Opfer zu sehen und zu verhandeln,
wie dies im Vorspann am Montag passiert ist? Nimmt man ihm nicht
gar noch etwas weg bei all den kulinarisch tiefenpsychologischen
Versuchen einer österreichischen Befindlichkeitsbeschau: nämlich
sein – auch! - selbst gewähltes Außenseitertum,
in dem er bewusst jenseits der Grenze gesellschaftlicher und ethischer
Vereinbarung Aufstellung nahm? Nimmt man ihm also nicht sein freies
Handeln, das ihn zum Mörder machte, indem man es mit selten
nonchalanter Leichtigkeit auf die allzu logische Folgerichtigkeit
von erlittener Demütigung und praktiziertem Gewaltausgleich
hintrimmt?
Ich unterstelle Franz Fuchs freies Handeln, als er sich zum Mörder
machte, so wie ich allen Terroristen freies Handeln unterstelle,
Indoktrination hin oder her. Nur so lässt sich am Ende Rechenschaft
verstehen, die nichts mit bloßer Abrechnung zu tun hat. Und
nur so verstehe ich auch die geglückten Versuche dieses österreichischen
Helden, der fälligen Begegnung mit den Angehörigen seiner
Opfer durch Brüllen im Verhandlungssaal und einen gefügigen
Richter auszuweichen: Er war zu feige, sich der Rechenschaft zu
stellen, der eigentlichen. Der nur zwanghaft Handelnde hätte
sich nicht so ausweichlerisch um Flucht bemüht. Vom endgültigen
Entzug durch Selbstmord will ich erst gar nicht reden.
Wieso habe ich schon nach den ersten beiden Sätzen der Moderatorin
gewusst, dass das gesamte folgende Studiogespräch kein Wort
über die Befindlichkeit der Opfer verlieren würde, für
die ja der 1. Oktober genauso der zehnte Jahrestag der Festnahme
ist wie für den steirischen Ort Gralla und die Polizei und
die Öffentlichkeit? Wieso habe ich gewusst oder doch befürchtet,
dass da nichts als die trivialpsychologische Ausweidung einer Täterseele
passieren würde? Ach Gott, diese Echtheit des Malkovics, erkennbar
an wenigen ausgesuchten Ausschnitten! Ist das die Kunst eines genialen
Schauspielers oder doch nur eines kongenialen Pathologiekopierers,
die da als Einstiegshilfe in das vermeintliche Erkennen des Täters
und seiner höheren österreichischen Seelenpathologie missverstanden
wird?
Oder handelt es sich tatsächlich um das faszinierende Psychogramm
eines faszinierenden Losers, also nicht nur eines Patrioten, sondern
ein tragisch Leidenden, eines hyperintelligenten Verkannten, eines
Zermalmten, eines Mörders aus Notwehr, eines, ja doch: Helden?
Gewiss, das angekündigte Dokudrama ist ein Versuch über
den Täter, nicht über die Opfer, ganz bewusst, und man
wird vermutlich auch Opfer zu Wort kommen lassen, um den Täter
noch einmal zu fassen. Und doch ist die Gewichtung auf den Täter
symptomatisch. Das Faszinosum ist der Täter, der Grenzüberschreiter,
der Fetisch. Die Frage nach den Opfern, auch und gerade am 10. Jahrestag
der Festnahme des Täters, wäre für den Produzenten
von vermeintlich bescheidenem Wert gewesen.
Aber warum eigentlich?
Ich kann mich der Erleichterung unter den oberwarter Roma erinnern,
als sie von der Festnahme des Attentäters erfuhren. Er hatte
die meisten über Jahre hinaus bis in den nächtlichen Nachhauseweg
verfolgt und noch mehr in die Träume hinein. Er hatte sie bisweilen
entzweit, er hatte sie wieder geeint, er hatte einen Teil ihres
Lebens bestimmt, bei vielen nachhaltiger, als wir uns das vorstellen
können, denn einige Junge gingen irre, erstickten in Drogen
und Selbstzerstörung. Er hatte sich also ein Recht über
eine ganze Volksgruppe ausbedungen. Die Roma-Kinder wurden ihres
Schulweges beraubt und all der Geheimnisse, die ein Schulweg birgt,
weil die verängstigten Eltern nur noch die Fahrt mit dem Bus
zuließen. Und heute erzählen die zum Zeitpunkt des Attentates
noch gar nicht Geborenen von Fuchs als einem Phantom, das um die
Häuser schleicht und Steine auf sie wirft.
Ja, da war echte Erleichterung, dass dieser Mann gefasst war, auch
wenn keiner glauben wollte, dass er der alleinige Täter gewesen
sei. Zu viele Täter hatte man zu viele Jahrzehnte lang gesehen,
als dass einer ausgereicht hätte. Da war nicht Freude, nur
Erleichterung. Und Genugtuung, auch das.
Die abgerissenen Hände waren unter den Roma ein großes
Thema, ein mythologisches, ein makaber zupackendes. Die abgerissenen
Hände, das war die Strafe, das war die Gerechtigkeit, das war
gerechter als sein Tod es sein hätte können.
Manch eine oder einer fürchtete sich vor dem Zusammentreffen
mit dem Monster im Gerichtssaal, manch einer hatte ein brennendes
Verlangen danach. Und manch eine oder einer sah ihn dann sogar,
den Fuchs, eine Sekunde lang, höchstens, draußen auf
dem Gang, als er vorgeführt wurde, denn der Richter hatte eine
direkte Begegnung zwischen dem Mörder und den Angehörigen
der Opfer unterbunden. Genau um diese Begegnung aber fühlen
sich einige bis heute betrogen.
Und da ist auch der Vater eines Mordopfers, der ein ganzes Buch
lang um das Verstehen eines Hasses ringt und am Ende als Angehöriger
der Opfergruppe sogar in die Haut des Attentäters schlüpft,
um ihm nahe zu sein und das Unfassbare für sich fassbar zu
machen. (Stefan Horvath: Katzenstreu; edition lex liszt 12, Oberwart
2006)
Alles kein Thema für den Produzenten? Alles nachrangig im Kulturauftragsselbstverständnis
des ORF, des Co-Produzenten? Oder gar zu wenig patriotisch?
Ich möchte betonen, dass ich den Film „Franz Fuchs –
Ein Patriot“ noch nicht gesehen habe und er also auch nicht
Anlass meiner hier wiedergegebenen Bekümmerung ist. Ich beziehe
mich ausschließlich auf eine Kultursendung im ORF, die den
Charakter der Promotion hatte. In Zeiten, in denen diese oft wichtiger
ist als das beworbene Produkt selbst, fällt ihr das Attribut
zu, die allererste ideologische Auslage eines Produktes zu sein.
Nicht mehr und nicht weniger.
Ich musste einfach eruieren, warum mir kurz mal schlecht war.
Sollte der Film meine Befürchtungen als eitle Vorausverurteilung
entlarven, so darf ich mich jetzt schon dafür entschuldigen.
Ungekürzte Version des Kommentars in Der Standard vom
29. September 2007
Kommentare, Reden, Offene Briefe (Auswahl)
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