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DIE
KARDINÄLIN - EINE OHNMACHT
Stück für Bühne und ein abgestelltes Subjekt
von Peter Wagner
2005/2010
Eine Produktion des Klagenfurter Ensembles
in Zusammenarbeit mit dem Offenen Haus Oberwart
Die Kardinälin: Heinrich Baumgartner
Noch Jemand: Erich Pacher
Inszenierung, Bühne, Licht und Musik: Peter Wagner
Licht- und Toneinspielung: Mario Horvath
Fotos, Videotechnik: Günter Jagoutz
Triptychon "Heile Welt" als Teil des Bühnenbildes:
Eveline Rabold
Technik: Manfred Kratochwill, Johannes Maier, Thomas Schwarz
Grafik: David Maier
Organisation: Dirk Westritschnig
General Admiistration Manager: Franz Doliner
Intendanz: Gerhard Baumgartner
Termine:
Klagenfurter Ensemble
Di, 11. Mai, 20.00 h, Premiere
Mi, 12. Mai, 20.00 h
Do, 13. Mai, 20.00 h
Fr, 14. Mai, 20.00 h
Offenes Haus Oberwart
Do, 27. Mai, 20.00 h, Premiere
Fr, 28. Mai, 20.00 h
Sa, 29. Mai, 20.00 h
So, 30. Mai, 11.00 h Matinee
3raum Wien
Di, 8. Juni, 20.00 h
Mi, 9. Juni, 20.00 h
Do, 10. Juni, 20.00 h
Sa, 12. Juni, 20.00 h
Zum Stück "Die
Kardinälin - Eine Ohnmacht"

Bejubelte ke-Uraufführung: „Die Kardinälin. Eine
Ohnmacht“
Salz in Wunden streuen
Das Kardinalsrot hat sich zu einem Meer aus Seide verdichtet, das
die Bühne unter sich begräbt. Die schwarzen, glänzenden
Schuhe, die an seinem Ufer stehen, bemerkt man kaum. Es sind die
Schuhe eines verbitterten, alten Mannes, der über seine Schuld
den Mantel des Schweigens breitet und im Schwemmland der Seele mit
sich kämpft. Die Absolution für seine sexuellen Übergriffe
erteilte auch Regisseur Peter Wagner nicht, der für das klagenfurter
ensemble (ke) Dienstag zur Uraufführung „Die Kardinälin“
vivisezierte.
Der Fall Groer stand Pate für das 2005 entstandene Stück
des burgenländischen Autors, Verlegers und Regisseurs, der
sich mit dem Monolog eines krankhaften Geistes tief in den fauligen
Morast eines kirchlichen Machtmenschen begibt. Dieser stellt mit
glühender Verachtung sich selbst als Teil einer nur allzu menschlichen
Institution an den Pranger, in der eine intrigante Neidgesellschaft
mit Vertretern der Mittelmäßigkeit regiert, „die
dir sogar den Glanz deiner Schuhe neiden.“
Wagners dichtes, philosophisch unterfüttertes und bis an die
Grenze des Erträglichen intensives „Zwiegespräch“
eines Knabenschänders ausschließlich als einseitigen
Rundumschlag gegen eine verkommene Kirche zu verstehen, sollte man
tunlichst unterlassen. Denn auch wenn da absolute Reizthemen wie
Frauenverachtung und Missbrauch schonungslos an- und ausgesprochen
werden, so ist es doch immer „nur“ die fiktive (?) Projektion
eines Menschen zwischen Schuld und Sühne, der sich in der Gnade
Gottes wiegt und von seiner „Muttermacht Kirche“ und
dem „perfekten Showman Ratzinger“ verraten fühlt
– als eines seiner Missbrauchsopfer DEN österreichischen
Kirchenskandal nach 1945 auslöst. Sich im Recht zu glauben,
ohne ihm Recht zu sein: Diese Diskrepanz ist die Projektionsfläche,
an der sich „die Kardinälin“ Heinrich Baumgartner
reibt: Jeder noch so kleine Blick, jede noch so unbedeutende Geste
ist da ein in sich geschlossenes Gesamtkunstwerk, das brennender
Wut, tollwütigem Hass, geifernder Geilheit, triefendem Selbstmitleid
und ratloser Resignation Haut, Fleisch und Sehnen „überzieht“
und mit monströser Verblendung beseelt.
Ergänzt von Erich Pacher, der als Randfigur den androgynen
Lustknaben wieder Willen perfekt personifiziert, 70 Minuten, die
Salz in (Kirchen)Wunden streuen, die vielleicht ja doch einmal heilen,
wenn man sie nicht mehr totschweigt ...
Irina Lino, Kronen-Zeitung, 13.5.2010

Gespenstisches Bild eines Ungeheuers
Uraufführung von Peter Wagners „Die Kardinälin“
beim klagenfurter ensemble: höchst stimmige Leistungen. Ein
Stück über ein degoutantes Selbstbild: zum Grausen gut
geschrieben, gut gemacht und gut gespielt.
Eine Welle aus Purpur ist die Bühne: Abgeschirmt oder in Einzelhaft,
je nach Standpunkt, sitzt dahinter einer, der von Mandelpudding
träumt, sich über den Glanz seiner Schuhe definiert und
in einem halb inneren, halb äußeren Monolog in allen
Hirnwindungen nach Rechtfertigung sucht: Warum er sich denn nicht
rechtfertigen müsse! Streckenweise wird einem übel ob
der Ungeheuerlichkeiten, die zu hören sind: Da spricht ein
Versteckter, der durch Liveübertragung auf der Videowall Macht
und Ohnmacht demonstriert, in gefinkeltzer Rhetorik seinen Sonderstatus
poliert, ein grässliches Frauenbild innerhalb der Kirche zeichnet
und nach unschuldigen Kinderaugen und Popos von Knaben lechzt, weil
sie ja nicht die Hurenwelt wären ... Ein starrsinniger, unbelehrbarer
Selbstherrlicher, der sich als Mutter Kirche sieht, stolz ist, „Kardinälin“
gerufen zu werden, und Gott in Kumpanei nimmt: „Er schweigt
– und ich schweige!“ Peter Wagner bietet einen Text
an, der ihn als präzisen Profiler ausweist: Er lässt den
Kardinal ein Bild von sich selbst zeichnen, aus dem es aus jeder
Ritze zwischen Grau und Schwarz quillt. Da bleibt der Kindesmissbrauch
„nur“ Anlass zum Lamento: Nie geht es um Opfer. Und
die hätten, wäre eines anwesend, noch schwerer an der
Selbstsicht dieses Kirchenmannes zu tragen, als bei der Opfer-Täter-Begegnung
in Felix Mitteres „Beichte“. Peter Wagner liefert einen
minutiösen Text, eine gekonnte Inszenierung; Heinrich Baumgartner
als „Karidnälin“ (im punktgenauen Spiel mit dem
Licht) ein Porträt, das in die letzte Pore schauen lässt.
Erich Pacher gibt eine stellvertretende Reaktion, die der Zuschauer
braucht. Wer sich immer schon fragte, was in einem Ungeheuer vor
sich geht, muss einfach hin ...
Maja Schlatte, Kärntner Tageszeitung, 13. Mai 2010


Verführung im Schatten
Ein Abend in Kardinalsrot: das klagenfurter ensemble brachte Peter
Wagner Theatermonolog „Die Kardinälin“ zur Uraufführung.
Nach dem Tod von Kardinal Hans Hermann Groer 2003 bat Kardinal König
darum, „davon Abstand zu nehmen, die Wunden der Vergangenheit
aufzureißen“. Er vertraute darauf, dass die Forschung
imstande sein werde, „Licht und Schatten deutlicher zu benennen“.
In Klagenfurt versucht nun nicht die Forschung, sondern die Kunst,
Licht in die Affaire Groer zu bringen, die zur bislang größten
Krise der Katholischen Kirche in Österreich geführt hat.
Am Dienstag wurdem vom klagenfurter ensemble Peter Wagners „Die
Kardinälin – Eine Ohnmacht“ aus der Taufe gehoben.
Und sie führt vor allem in den Schatten.
Das suggeriert schon sehr geschickt die Bühnenarchitektur:
„Die Kardinälin“ (Heinrich Baumgartner), an den
Rollstuhl gefesselt und in ein Kloster abgeschoben, wird, verborgen
hinter einem kardinalsroten Vorhang, für das Publikum nur über
einen Monitor und das Schattenbild sichtbar. Die Fäden ziehen
längst andere – symbolisiert durch ein „Subjekt“
am Regiepult (Erich Pacher), das gleichzeitig Stichwortgeber, Opfer
und Öffentlichkeit ist. Allesamt Funktionen, denen „Die
Kardinälin“ – das war schon seit Spitzname während
der Zöglingszeit – unberührt gegenübersteht.
Denn er sieht sich als das eigentliche Opfer: „Wir haben unserem
geliebten Gott gehuldigt. In höchster Liebe.“
Peter Wagner polemisiert nicht und er polarisiert nicht. Weder in
seinem Text noch in seiner Regie. Ihm geht es nicht um Anklage,
ihm geht es um das Verstehen. Und dort liegt letztlich das Problem,
das auch Peter Wagner nicht lösen kann: Der geschickt gebaute
Theatermonolog, die kluge Regie und der mimisch und gestisch grandiose
Heinrich Baumgartner, der sich dem Text ganz aussetzt, können
nicht darüber hinwegtäuschen, dass versucht wird, einen
Mann zu verstehen, der letztlich nicht verstanden werden kann. Und
dessen Schicksal deshalb nicht wirklich berührt. Das ist eigentlich
gut so. Nur nicht unbedingt für das Stück.
Marianne Fischer, Kleine Zeitung, 13. Mai 2010

Die Kardinälin - Eine Ohnmacht
Uraufführung im Klagenfurter Ensemble
Sexueller Missbrauch wird der Kardinälin in Peter Wagners Stück
vorgeworfen. In einem Kloster sitzt er, in seinem Rollstuhl und
redet, träumt von vergangener Größe. Dem burgenländischen
Autor und Regisseur geht es aber nicht um Anklage, sondern um das
Drama eines Menschen.
Die Kardinälin will sich nicht erinnern, will für nichts,
auch nicht für den sexuellen Missbrauch an den ehemaligen Zöglingen,
die Verantwortung übernehmen, zeigt keine Spur von Reue oder
Einsicht: "Kein einziger wurde missbraucht, wir haben unserem
verliebten Gott gehuldigt. In höchster Liebe!"
Angelehnt an die Affäre Groer
Die Anklage überlässt Peter Wagner, der auch selbst Regie
führt, bewusst anderen, der öffentlichen Meinung oder
den Medien. Literatur hat einen anderen Auftrag, soll in die Seele
des Menschen hineingehen, meint er.
Angelehnt ist das Stück an die Affäre Groer. Auch die
Kardinälin sitzt alleine in einem Kloster und wartet auf das
Ende. Kann sich nicht mehr bewegen. Ist auf Hilfe von außen
angewiesen. Sogar beim Zubinden der Schuhe, denen er seinen Beinamen
verdankt. Sichtbar wird das Drama eines Menschen. Verantwortung
übernimmt dieser Mensch aber nicht.
Glaube als Machtinstrument
Der Glaube, so Peter Wagner, ist eigentlich das Instrument für
die Handhabung der Macht. Unterordnung ist alles: Unterordnung unter
das göttliche Prinzip und Unterordnung unter das hierarchische
Prinzip der katholischen Kirche. Politiker oder Tyrannen können
abgewählt, gestürzt werden, die Vertreter der katholischen
Kirche nicht, sie bleiben immer "Seelsorger".
Ihr Missbrauch trifft die Menschen in ihrem Innersten. Und sie können
sich oft nicht mehr aus diesen zutiefst verletzenden Abhängigkeiten
lösen. Die Täter verdienen, davon ist Peter Wagner überzeugt,
kein Mitleid, aber Erbarmen.
Unfehlbarer Papst
Benedikt XVI. kommt im Stück noch als Joseph Ratzinger vor.
Für Peter Wagner wird seine Rolle durch die aktuelle Diskussion
immer klarer: Als Papst ist er, der eigenen Diktion zufolge, unfehlbar.
Das bedeutet, er kann nicht wirklich hinterfragt werden und hat
daher auch nicht das Gefühl, Antworten geben zu müssen
auf Fragen, die er sich selbst nicht stellt.
Miochaela Monschein, Ö1 Kulturjournal, 11.5.2010

Die Göttin und der Gelähmte
Rot – überall Rot. Wallende, erdbeerrote Tücher
umhüllen die Bühne, darin versunken ein Geistlicher. Ein
Kardinal, der Vorgänger des heutigen Erzbischofs von Wien.
Und er sieht Rot.
Als "Die Kardinälin" stellt er bei der Uraufführung
im 3raum Anatomietheater die katholische Kirche an den Pranger.
Denn statt wie bisher ihre schützenden Hände über
ihn zu halten, wirft sie plötzlich mit Steinen nach ihm. "Ratzinger
scheint nicht mehr hinter mir zu stehen. Und auch St. Pölten
kann nicht helfen." Denn einer der von ihm "so sehr geliebten"
Zöglinge hat sich mit dem Vorwurf des sexuellen Missbrauchs
an die Öffentlichkeit gewandt – und mit dem Durchbrechen
der Schweigemauer einen Stein ins Rollen gebracht.
Beeindruckend und zugleich erschütternd übt der Kardinal
im Exil aggressive Selbstverteidigung statt der erwarteten Selbstkritik.
Exzellent wird die Idee, dass sich der Protagonist nicht als Täter,
sondern Opfer sieht, auf die Bühne gebracht. Gefesselt an den
Rollstuhl und gefangen im eigenen Körper, verliert er sich
in Tiraden gegen all jene, die an den Grundfesten der Kirche zu
rütteln scheinen. Doch eigentlich ist es die eigene Blindheit,
die ihn lähmt. Hält er doch sprachgewaltig an seinem Glauben
fest, dass er die Minderjährigen vor der Ursünde einer
Hure bewahrte.
Trotziges Schweigen
Letztendlich beschließt er trotzig, fortan zu schweigen. Womit
der Kreis zu den Opfern geschickt geschlossen wird, die ihr Schweigen
gebrochen haben. So ausgefeilt der einstündige Monolog (beachtlich:
Heinrich Baumgartner) auch ist – alle Besucher vermochte er
nicht zu fesseln. Nach zehn Minuten verließen die ersten den
Saal.
Ach ja, und warum ist der Mann eigentlich "Die Kardinälin"?
Die Erklärung bleibt dieser schuldig, ein Spitzname sei es,
geboren bei einem Seminar. Zwischen den Zeilen findet sich dennoch
eine Antwort, mit der die Selbstverherrlichung des Protagonisten
auf die Spitze getrieben wird: "Wie ich bin, bin ich aus mir.
Ich danke mir. Der Mutter Gottes."
Petra Templer, Wiener Zeitung, Printausgabe, 10. Juni 2010
Von allen guten Geistern verlassen?
"Die Kardinälin" - ein Stück, das über
Groers Missbrauch hinausgeht
Eine mystisch anmutende Bühne. Sie hat was von einer Kirche.
Alles in rotes Tuch gehüllt. Einzig befremdlich wirkt ein Laptop
auf dem Tisch und eine weiße Projektionsfläche im Hintergrund..
In einer großen Nische, die das rote Tuch bildet ein geheimnisvolles
Etwas. Ein hagerer Mann mit langen Haaren kommt herein.Erinnert
an Bilder von Jesus.
Von Gnade und Erlöser ist die Rede. Das Geheimnis in der Nische,
vielleicht einem Beichtstuhl, wird gelüftet. Tief in sich zusammengekauert
ein Mann mit Kardinalskapperl auf dem Hinterhaupt war nochmals mit
rotem Stoff zugedeckt. Der - nach Stückangaben "Noch Jemand",
nimmt ihm das Tuch ab. Per Videokamera wird der Mann im Stuhl, "die
Kardinälin" auf die Leinwand vorne übertragen. Manchmal
aufgerichtet, manchmal zusammensinkend blickt diese Person auf ihr
Leben zurück. Vorlage für sie/ihn: Hans Hermann Groer.
Jener einst oberste Bischof der österreichischen katholischen
Kirche war vor allem berühmt geworden, als v or ca. 15 Jahren
einer seiner einstigen Zöglinge die mehrfache sexuelle Ausbeutung
durch Groer ans Licht der Öffentlichkeit brachte. Mauern, nichts
sagen, schon gar nicht verurteilen - so die Linie der Krichenführung.
Nur aus dem Verkehr gezogen wurde Groer, zurückgezogen in einem
Kloster verbrachte er seine letzten Jahre.
Grundfragen
Hier siedelt Peter Wagner sein Stück an. Immer wieder jucheizt
er/sie (sein "Spitz"name in seiner aktiven Zeit lautete
"Die Kardinälin") "Mandelpudding". Das
löst er im Lauf des Stückes auf und hat genau mit jenen
Vorwürfen, die ihn berühmt machten und zu denen er nie
Stellung nahm, zu tun.
Anonsten beklagt er, eigentlich der beste, größte und
so weiter gewesen und von den anderen, selbst Ratzinger, nicht mehr
geschützt zu sein, von den anderen, alle eigentlich nur Mittelmaß,
abgestellt worden zu sein... Und spricht Grundfragen an, die weit
über sexuelle Ausbeutung junger Christen hinausgeht, dass für
das Reich Gottes und diese Kirche "Demokratie Unsinn"
seien...
Heinz Wagner, Kurier, 12. Juni 2010
Vorbereitende Gedanken zur Inszenierung von Peter Wagner:
Ohnmacht in der verbalen Gewissheit der Macht.
Eine Verkehrung.
Ein Rollstuhl, ein Monitor, sparsam eingesetztes Licht, eine Türe,
ein Darsteller – metaphorisch leere Bühne. Ihre Grundfläche
sollte in etwa jene des Zuschauerraumes ausmachen: (hörende)
Öffentlichkeit und (sprechendes) Individuum stehen einander
als Gleichgewicht und Ungleichgewicht gegenüber.
Das Alter des Darstellers spielt eine untergeordnete Rolle. Vorzugsweise
sollte es ein Mann in mittlerem Alter sein: noch aktiv in Mobilisierung
und Bezähmung der Lebensenergien, schon brüchig im Sterbeprozess
eines zu Ende gehenden Zeitalters.
Der Text gibt die entscheidenden Haltungen der Figur in den Regieanweisungen
wieder. Erkennbar, erkennbar paradox, dann überraschend und
widersprüchlich brechen die Haltungen einer längst nicht
nach Haltungen heischenden Figur, wodurch scheinbar eindeutig interpretierbare
Rede differenzierte Blickwinkel entwickelt, ja sich phasenweise
durchaus ins Gegenteil seiner vermeintlichen Botschaft verkehrt.
Grundsätzlich sollte den Regieanweisungen Vertrauen geschenkt
werden, zumal sie Teil der poetischen Substanz des Textes sind.
Jeder Verlockung, den Text als Anklage zu interpretieren, muss tunlichst
ausgewichen werden. Entscheidend ist einzig der Blick auf das Drama
eines Individuums, das sich im Recht weiß, ohne im Recht zu
sein. Scheinbar legitimiert durch den Dienst an seinem Herrn und
seiner Mutter - der Kirche! -, überschreitet das autokratisch
denkende Individuum wie selbstverständlich die Grenzen zum
anderen Individuum, dem ihm anvertrauten Zögling in dutzendfacher
Gestalt, ohne die Existenz und den Sinn dieser Grenzen zu erkennen
und sich daher einer Schuld bewusst zu sein. Die letztendlich rettende
Reue passiert nicht, weil die Unterordnung in das vermeintlich höhere,
weil göttliche, in Wahrheit aber doch nur kirchlich-hierarchische
Prinzip nicht in Frage gestellt wird: Das Menschliche scheint ihm
entwichen, wo es sich im Namen des Göttlichen dem System überantwortete
und schließlich selbst zum System wurde. Geblieben ist ihm
letztlich nichts als die Gefangenschaft im Erstarrten und –
gnadenlose Einsamkeit.
Und doch passiert etwas mit der in die Ecke gestellten Figur. Nun,
im Grenzraum zwischen Leben und Tod, gestattet sich etwas in ihr
die Abkehr von den lebenslang gepflogenen Haltungen der Bezähmung
und Beherrschung. Angst, Verzweiflung, Larmoyanz – ja sogar
Trauer brechen in ihr auf, ohne sie deshalb zu tieferer Einsicht
zu führen. Vor uns wird ein Mensch sichtbar, der nicht unser
Mitleid braucht, sondern unser Erbarmen. Dort aber müssen wir
uns in gewisser Weise selbst finden.
Ö1-Besprechung
am 11.5.2010
Ausschnitt
auf YouTube

Inszenierungen Bühne Peter Wagner
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