|
 |
 |
Peter Wagner: Todestag
edition lex liszt 12, Oberwart 1993, 36 Seiten
ISBN: 3-9500-1853-0
Kuhstall. Schummrige Stimmung. Zwei große Kerzen brennen.
Unter mehreren Decken liegt der stattliche Leichnam der Kuh. Aus
einem Transistorradio rieselt leise Studio Burgenland. Eine Sense
an der Wand kündigt Bedrohliches an. Zwei Hocker und ein improvisiertes
Tischchen strahlen etwas Wohnzimmeratmosphäre aus.
Hinter einem Verschlag befindet sich Pipi, der gelegentlich
schnaubt und grunzt.
Rund um die Kuh knien die Mutter, Franz und Sissi (alle in Schwarz)
sowie Karl, der eine Gendarmerieuniform trägt. Sie sprechen
ein Vaterunser. Bekreuzigen und erheben sich. Franz hinkt beim
Gehen, er hat einen Klumpfuß.
Pipi grunzt hinter seinem Verschlag. Die Mutter verlässt
den Stall. Franz stellt den Hocker neben den Kopf der Kuh, setzt
sich und streichelt ihn.
KARL zu Sissi: Bring den Schnaps.
SISSI: Komm doch, Karli,
es ist spät.
KARL: Du sollst den Schnaps bringen! Sissi geht hinaus.
FRANZ:
Wozu den Schnaps, Karli. Elsbeth ist tot, die bringt uns niemand
mehr zurück. Und wir beide haben uns nichts mehr zu
sagen. Mit dem Tod eines Lebewesens zerbrechen auch die Beziehungen,
die seine Nächsten untereinander hatten.
Die Mutter kommt mit einer Schale Milch zurück, stellt
sie zum Verschlag.
MUTTER: Trink, Pipi, trink das schön aus. Pipi stößt
die Schale Milch um. Er will die Milch aus dem Geschäft
nicht. Pipi rüttelt am Verschlag. Du musst das jetzt
trinken, ab heute bist du erwachsen, Pipi, und Erwachsene trinken
die Milch aus der Schale. Pipi rüttelt wie wild am Verschlag.
FRANZ humpelt an den Verschlag und redet mit beruhigender Stimme
auf Pipi ein: Ruhig, Pipi. Mama ist heute von uns gegangen,
und sie wird jetzt lange wegbleiben, da müssen wir stark sein
und zusammenhalten, zwei ordentliche Kerle, die wir sind. Und irgendwann
werden wir sie wiedersehen. Im Himmel, wo der Liebe Gott jetzt
ein schönes Lager aus frischem Stroh für sie hergerichtet
hat. Pipi rüttelt am Verschlag. Ruhig, ganz ruhig,
hast du gehört. Ich weiß, auch ein Pipi hat Gefühle,
und ich habe immer gewusst, was für ein schönes großes
Herz mein Pipi hat und wie sehr er seine Mama geliebt hat. Er
greift durch den Verschlag und streichelt ihn, was ihn beruhigt.
Deutet der Mutter zu verschwinden.
MUTTER in Richtung Franz und Karl: Vertragt euch! Respektiert
das Wort Eurer Mutter! Seid froh, dass ihr noch eine habt! Gott sieht
alles!
Sie geht. Sissi bringt die Schnapskaraffe und zwei Stamperl
auf einem silbernen Tablett.
SISSI: Bitte, Karli, was wollt ihr denn jetzt?
KARL: Trinken wollen
wir, frag nicht so blöd.
SISSI: Warum wollt ihr trinken, das
ist doch kein Anlass, Schnaps zu trinken. Sie hätte sicher nicht gewollt, dass ihr euch ihretwegen
die Köpfe mit Schnaps voll schüttet.
KARL: Was sie gewollt
hätte und was nicht, das kannst du unsere
Sorge sein lassen. Raus jetzt.
SISSI: Ich habe Angst dabei.
KARL: Männersache. Davon verstehst
du nichts.
SISSI: Du musst jetzt auch ein bisschen an mich denken.
Ich habe den Test noch einmal gemacht. Ich bin eindeutig schwanger.
Wir werden so glücklich miteinander sein. Ist dir diese Vorstellung
nicht auch etwas wert?
KARL: Habe ich etwas davon gesagt, dass du
nicht glücklich
werden sollst?
Bücher Peter Wagner
|
 |
 |
 |
|
  |