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Peter Wagner:
Requiem. Den Verschwiegenen
Ein Versuch über den Widerstand
Mit 14 visuellen Variationen von Wolfgang Horwath
und einer Hörspiel-CD.
Edition
lex liszt 12, Oberwart 2003.
ISBN 3-901757-27-9
Prämie des BKA für eine herausragende Buchpublikation
Aus der Fülle angebotener audio books ragt eines im doppelten
Wortsinn heraus: zum einen hat es, von der Größe her gesehen,
Buchformat. Zum anderen bildet es von der optischen Gestaltung her
ein Kunstwerk für sich. Das Cover zeigt ein abstraktes Gemälde
in den Farben schwarz, rot und blau. Nimmt man die Schleife ab, so
lässt sich der Umschlag kreuzförmig entfalten. Es erscheint
eine Liste, auf der jene 36 burgenländischen Gemeinden aufgezählt
werden, in denen es bis heute kein sichtbares Zeichen des Gedenkens
an jene Opfer gibt, die dem Widerstand gegen das NS- Regime zugerechnet
werden. Die Namen der Toten finden sich unter dem jeweiligen Ortsnamen.
Der aufgefaltete Umschlag enthält 12 mit optischen Variationen
gestaltete Kartonblätter, die im Dokumentationsarchiv des österreichischen
Widerstands und im burgenländischen Landesarchiv recherchierte
Schicksale der Getöteten enthalten, verwoben mit kargen, sparsamen
Texten des Autors Peter Wagner, in denen die Opfer zu uns sprechen.
Zwei weitere Kartonblätter sind der erfolglosen Korrespondenz
mit jenen Bürgermeistern gewidmet, die Gedenktafeln ablehnen
oder deren Errichtung versprochen und nicht eingehalten haben. Die
künstlerische Ausgestaltung dieser Hörbuchmappe stammt
von Wolfgang Horwath.
Die Blätter haben nicht von ungefähr unregelmäßige
Ränder: sie wurden im Mai heurigen Jahres von Schülern
im Rahmen der Aktion „Anreißen“ aus den ungeschnittenen
Druckbögen herausgerissen. Zu guter Letzt kommt eine CD zum
Vorschein, die Peter Wagners in Ö1 gesendetes Hörspiel „Requiem.
Den Verschwiegenen“ enthält. Man kann, sagt der engagierte
Autor, die Biographien wieder zurücklegen, um alles zusammen
schnell wieder ins Bücherregal zu stellen. Aber ist die Schleife
einmal von der Verpackung genommen, geht das Buch nicht mehr zu.
Und ebenso verhält es sich mit seinem Hörspiel: es lässt
sich nicht beiseite legen und vergessen.
Peter Wagner, 1956 in Wolfau nahe dem burgenländisch- steirischen
Grenzfluss Lafnitz geboren, ist ein vielseitiger Autor und Regisseur.
Aufgewachsen ist er in den zweisprachigen Gemeinden Oberwart und
Unterwart, seit mehr als zwanzig Jahren lebt er wieder im Südburgenland.
Seine Umgebung hat sein Schaffen entscheidend mitgeprägt. „Theater
am Ort“: diesen Begriff hat er für seine Bühnenphilosophie
geprägt. Für ihn hat der Ort einer Inszenierung absolute
Priorität. Das Wo beeinflusst das soziale Umfeld und die Lebensumstände
des einzelnen. Produktionen mit bis zu 100 Laiendarstellern sind
die Folge. Schon vor dem Verfassen eines Stücks stehen in der
Regel nicht nur der Spielort, sondern auch die Menschen fest, mit
denen es realisiert werden soll. Die Bühnenversion seines Hörspiels „Requiem.
Den Verschwiegenen“ wurde in 12 Kirchen im Burgenland aufgeführt.
Neben musikalischen Versuchen mit Texten und Aktionen hat er Erzählungen
und Libretti geschrieben. Seit zwei Jahren widmet er sich vorrangig
seiner unabhängigen Filmarbeit. Rund ein Dutzend seiner Hörspiele
wurden von ORF, ARD, Magyar Radio und Radio Lubljana gesendet. Regie
bei seinem Ö1 Hörspiel „Requiem“ führte
Götz Fritsch. Erschienen ist die Buch/Hörbuchkombination
zum Preis von 25€ in der kleinen Edition Lex Liszt 12. Dieser
in Oberwart ansässige Verlag widmet sich außergewöhnlichen
Buchprojekten, die einen Beitrag zur Identitätsfindung des Burgenlands
leisten. Vor allem die sprachliche und konfessionelle Vielfalt und
der Umgang mit ethnischen Minderheiten soll als Teil dieser Identität
aufgezeigt werden.
Manfred Kronsteiner, HÖRBÜCHER, ORF Ö1


Beredtes Schweigen
Man kann, sagt Peter Wagner, diese Verpackung kreuzförmig auffalten,
Biographien fliegen heraus, die kann man aufheben und zurücklegen,
um alles zusammen schnell ins Bücherregal zu stellen. Aber ist
die Schleife einmal von der Verpackung genommen, geht das Buch nicht
mehr zu.
Vierzehn Stationen eines anderen Kreuzweges werden zum „Requiem.
Den Verschwiegenen“. Gefaltete Kartons enthalten das Wenige,
das über BurgenländerInnen im Widerstand gegen den Nationalsozialismus
bekannt ist. Was sich in den Archiven des Dokumentationsarchivs des österreichischen
Widerstandes und im Burgenländischen Landesarchiv finden ließ,
hat Wagner gesammelt und mit zarten literarischen Texten verwoben.
Die beiden letzten Stationen, „Aus dem Briefwechsel mit den
Bürgermeistern“, dokumentieren Niedertracht und Feigheit
gegenüber jenen, die sich, so sie noch könnten, fragen
würden: „Warum wusste ich, was die anderen später
nicht gewusst zu haben behaupteten?“ Unter den Kartons liegt
eine Ö1-Hörspiel-CD. Hier antworten die verschlungenen
Bürokratien auf die Frage nach dem blinden Fleck Widerstand
in beredter Sprache, ohne Worte.
Die Sprache des Schweigens. Sie erinnert allzusehr an die Zeit,
als Lebert seinen Roman „Die Wolfshaut“, der mit Bernhards „Frost“ und
Fritschs „Fasching“ die literarische Auseinandersetzung
mit der österreichischen Katastrophe einläutete, in einem
Dorf namens Schweigen ansiedelte. Schon die Anbringung von einfachen
Gedenktafeln in den Gemeinden der Ermordeten führt zu Vertröstung
(kein Geld), Abwimmelung (dem Widerstand werde ohnehin am Kriegerdenkmal!
gedacht) und althergebrachtem Ressentiment: „… erlauben
wir uns nach vertrauensvollen Informationen von Zeitzeugen mitzuteilen,
daß der Genannte nicht immer im Sinne der heimischen Bevölkerung
gehandelt hat“. 1998 dieser Satz, nicht 1960.
Einen Gegensatz schrieb Hans Mayer, der als Jude, Marxist und Homosexueller
aus Deutschland fliehen musste: „Es gibt eine wundersame Heilkraft
der Natur, doch es gibt keine Heilkräfte der Geschichte. Es
heißt zwar: ‚Darüber muß Gras wachsen‘,
allein unter dem Gras liegen nach wie vor die Toten.“ Erinnerung
ist Widerstand gegen das Vergessen der Ermordeten sowie gegen eine
Gegenwart, die sich ihre Zukunft ohne Rückbindung an Hoffnungen
und Kämpfe der Vergangenheit untertan machen will. Dieses Wehren
ist untrennbar mit Anklage und Gerechtigkeitsfindung verbunden. Der
Weg dorthin führt über die Erinnerung. Ihr Eintritt in
die Kultur war schon in der griechischen Antike mit Nachzeichnung
und Eingedenken verbunden: Beim Deckeneinsturz während eines
Festes zu Ehren eines Faustkämpfers wurden die Gäste im
Schutt begraben. Der Dichter Simonides von Keos überlebt und
rekonstruiert die Tafelordnung, um die verstümmelten Leichen
zu identifizieren. Die Rekonstruktion der Toten unter dem Gras des
20. Jahrhunderts ist immer noch die aufreibende Sache Weniger. In
der Erinnerung und im fiktiven Zwiegespräch gibt Peter Wagner
den Vergessenen ihre Namen zurück. Auf Kartons dürfen sie überleben.
Das ist ein schwacher Trost. Es ist zumindest einer.
Clemens Berger, PROGRESS


Zum Thema:
"... dann werden wir uns schon wieder alles aufbauen."
Artikel von Peter Wagner in Der Standard
Bücher Peter Wagner
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